Chemiewaffen in Syrien:Giftiges Geheimnis

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Das Giftgas Sarin wurde 1938 in Deutschland entwickelt. Norwegische Soldaten halfen beim Abtransport der Stoffe aus Syrien. (Foto: Lars Magne Hovtun/dpa)

Deutsche Unternehmen haben das Regime in Syrien mit Bauteilen und Stoffen für Waffenfabriken beliefert. Das zeigt nach Informationen von SZ und NDR ein vertraulicher Bericht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Die Namen dieser Firmen aber werden nicht veröffentlicht.

Von Volkmar Kabisch, Hans Leyendecker und Georg Mascolo

Es gibt Bilder, die lassen auch die Inspektoren der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OPCW) nicht mehr los. Das Foto eines Mannes ist darunter, der bei dem Giftgasangriff vom 21. August bei Damaskus, bei dem mehr als 1400 Menschen starben, jämmerlich krepiert ist. Seine Augen starren nach oben, als wolle er die Raketen sehen, die den Tod herunterregnen ließen. Da sind Berichte von Opfern, die das lautlose Massaker überstanden. Die UN-Inspektoren untersuchten 36 Überlebende und stellten in den allermeisten Fällen Spuren des Kampfstoffes Sarin fest. Ihre Untersuchungen zum Massaker haben die Inspektoren in einem 38 Seiten starken Bericht dokumentiert.

Der Bericht ist nicht geheim. Jeder, der ihn lesen will, kann ihn lesen.

Akribisch haben die Inspektoren der OPCW aber auch vertraulich zusammengestellt, wer die Bauteile und die Stoffe für die vielen Giftgas-Produktionsstätten in Syrien geliefert hat. Sie kannten sich aus. Die Regierung in Damaskus informiert die Inspektoren seit Herbst 2013 über ihr früheres Chemiewaffen-Programm.

Aus diesen Meldungen erstellte die Den Haager Organisation die Liste der Staaten, aus denen Material für die Giftgas-Fabriken kamen. Neben Deutschland sind auch Firmen aus vielen anderen Ländern - etwa Indien, China, Libanon, Russland, Frankreich und den USA vertreten. Die Details der Berichte wurden von der UN-Organisation mit der zweithöchsten Geheimhaltungsstufe, "OPCW Protected", eingestuft. "Bereits ein Bekanntwerden der Namen im Zusammenhang mit der Diskussion um die syrische Chemiewaffenproduktion kann für die betroffenen Unternehmen schwerwiegende Folgen haben, die bis zur Existenzbedrohung führen können", hat die Bundesregierung jüngst auf eine Anfrage der Linken mitgeteilt.

Gift mit furchtbarer deutscher Tradition

Auch handele es sich um "Geschäftsgeheimnisse". Und die meisten Lieferungen aus Deutschland waren wohl nicht verboten. Sie erfolgten laut Bundesregierung zum größten Teil zu einem Zeitpunkt, als hierfür noch keine Genehmigungspflichten oder sonstige Kontrollverfahren bestanden. Trotzdem verlangt der Rüstungsexperte und Bundestagsabgeordnete der Linken, Jan van Aken, "vollständige Aufklärung". Es sei ein Hohn, dass die Regierung die Angaben zurückhalte: "Wer Giftgasfabriken im Ausland mit aufbaut, der darf sich nicht in der Anonymität verstecken".

Sarin ist ein Stoff mit furchtbarer deutscher Tradition. Das Giftgas wurde 1938 vom damaligen Chemiekonzern I. G. Farben entwickelt, und offenbar haben deutsche Firmen in Syrien beim Aufbau solcher Anlagen eine größere Rolle gespielt, als bisher vermutet wurde. Die OPCW hat für die Bundesregierung mehr als fünfzig Lieferungen zusammengestellt, die von 1982 bis 1993 an Syrien gegangen sein sollen.

Nach Informationen des NDR und der Süddeutschen Zeitung sollen sich darunter Produktionsskizzen aus den Jahren 1983 und 1984 für zwei Anlagen zum Bau von Vorstoffanlagen befinden, die für die Herstellung des Nervenkampfstoffes wichtig sind. Ob diese Anlagen gebaut wurden, ist offiziell nicht bekannt. Experten hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Hinweise auf die Existenz solcher "Made-in-Germany"-Anlagen in Syrien erhalten. Und der Umstand, dass die syrische Regierung der OPCW jetzt bei der Auflistung des eigenen Programms diese Skizzen überreicht hat, verstärkt den alten Verdacht.

Geliefert wurden teflonbeschichtete Reaktoren, Schläuche, Container, Kontrollventile, Steuerungsanlagen, eine Chemiewaschanlage und 2400 Tonnen der Schwefelsäure Thionylchlorid, die zur Sarin-Produktion genutzt werden kann.

Viele Länder haben große Mengen Chemikalien nach Syrien geliefert und nur in seltenen Fällen steht fest, ob sie für friedliche oder andere Zwecke eingesetzt wurden. Es kommt auch immer darauf an, wer in Damaskus bestellt hat. Eine ordentliche oder eine zweifelhafte Firma? Ist der Verwendungszweck glaubhaft oder nicht?

Früher zumindest dienten solche Fragen nur dem Alibi. Es gab, gerade in Deutschland, eine Zeit, da durfte dem Export um keinen Preis etwas im Wege stehen. Ganz Nahost war auch für die übelsten Gauner ein großer Markt. Als UN-Inspekteure nach dem ersten Golfkrieg die Waffenschmieden des Saddam Hussein im Irak inspizierten, stießen sie, egal ob bei den Giftgasküchen in Samarra, den Fabriken zur Verlängerung der Reichweite der Scud-B-Rakete, beim Atomprogramm oder bei der Superbombe auf deutsche Lieferanten. Die Ausfuhrkontrollen waren lasch. In Eschborn gab es ein Bundesaufsichtsamt für Wirtschaft und das arbeitete für die Wirtschaft. Die Lieferungen in den Irak, aber auch die deutschen Lieferungen zum Bau von Giftgasküchen in Libyen haben dann dem Ansehen Deutschlands und auch der Wirtschaft schwer geschadet. Geschäfte über Leichen sind auch für die Geschäftemacher nicht ohne Risiko. Der Imageschaden bei Entdeckung ist in jedem Fall weit gewichtiger als der Profit.

Wer bei jenem Rüstungsskandal im Irak Bilanz zieht, stellt fest, dass viele der kleineren oder mittelständischen Unternehmen, die das schnelle Geld machen wollten, nicht mehr auf dem Markt sind. Sie kamen nach der Entdeckung unter Druck, gingen pleite und einige der Verantwortlichen mussten auf der Anklagebank Platz nehmen.

Das dürften nun auch Unternehmen fürchten, die nach Syrien geliefert haben: Das Auswärtige Amt hat die OPCW-Liste dem Generalbundesanwalt übermittelt, und der prüft, ob strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden. Die Verjährungsfrist ist kompliziert. Sie beginnt erst nach Herstellung der Kriegswaffe und dauert zehn Jahre. Theoretisch also könnte da noch was sein - realististisch ist das nicht.

Beim Blick zurück fallen ein paar Veränderungen auf. Die früher wirtschaftsfreundliche Behörde in Eschborn gilt nun als echter Kontrolleur. Auch beim Zoll hat sich vieles geändert. Die Kölner Behörde hieß früher Zollkriminalinstitut (ZKI) und überliefert ist der Spruch eines ehemaligen Spitzenbeamten: "Wenn man eine Ameise unter einem Mikroskop betrachtet, stellt sie sich als Ungeheuer dar, aber wenn man durch den Wald spaziert, nimmt man sie nicht mal wahr." Aus dem ZKI wurde das Zollkriminalamt (ZKA), die Zahl der Mitarbeiter hat sich mehr als vervierfacht und 2013 leitete der Zollfahndungsdienst sogar ein Ermittlungsverfahren gegen ein deutsches Unternehmen wegen der ungenehmigten Ausfuhr von Triethanolamin für gerade mal 88 Euro an ein syrisches Unternehmen ein. Man verwendet den Stoff bei alten chemischen Waffen.

Im Zusammenhang mit den neuen Unterlagen aus Syrien tauchen Hinweise auf, der Bundesnachrichtendienst (BND) habe Mitte der Achtzigerjahre gewusst, dass Teile zum Bau der Chemiewaffenproduktion in Syrien von deutschen Firmen geliefert worden seien. Das kann sein. Konsequenzen hatte das nicht. Verwunderlich ist es auch nicht. Egal ob Irak , Libyen oder Syrien. Unter den Lieferanten befanden sich zu allen Zeiten Quellen des BND.

© SZ vom 19.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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