Causa Erika Steinbach:Wahn und Raserei

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In Polen ist es mittlerweile Staatsräson, Erika Steinbach zu verteufeln. Dabei sind ihre heutigen Positionen längst nicht mehr dieselben wie in den 90ern. Doch das wird ignoriert.

Arkadiusz Stempin

"Von Zeit zu Zeit geraten die Deutschen in den Zustand von Wahn und der Raserei", tönte in den siebziger Jahren Stefan Kisielewski, der keineswegs antideutsch eingestellte Doyen des polnischen Feuilletons. Drei Jahrzehnte später könnte es jeder beliebige deutsche Publizist nun Kisielewski zurückgeben, wenn er auf den gegenwärtigen polnischen Furor verwiese, der mittlerweile zur Staatsräson erhoben worden ist.

Zur persona non grata erklärt: Erika Steinbach (Foto: Foto: AP)

Dieser Furor trägt den Namen Erika Steinbach, und wie es sich für eine Staatsräson gehört, bestimmt sie seit fast einem Jahrzehnt die deutsch-polnischen Beziehungen.

Diesen hohen Rang hat der Vorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV) die rechts orientierte Regierung Kaczynski gegeben. In Sorge um die vollständige Erhaltung des historischen Andenkens an die Polen als Märtyrer haben die Zwillinge - der jetzige Staatspräsident und der frühere Regierungschef - sehr gern die antideutsche Trommel gerührt, indem sie Steinbach dämonisierten. Und ihr Vorgehen trug Früchte. Denn in diesem Punkt übernahm die sonst auf deutsch-polnische Harmonie eingestellte liberalkonservative Regierung von Donald Tusk das Erbe ihrer Vorgänger. Trotz einer Erwärmung der deutsch-polnischen Beziehungen unternimmt die regierende Bürgerplattform Tusks aber keine Anstrengungen, die Polen von ihren bisherigen Phobien zu kurieren.

Ehre aufs Spiel gesetzt

Und nicht nur das: Opfer dieser Phobie wurden auch prominente Persönlichkeiten, die zu lebenden Symbolen der deutsch-polnischen Versöhnung geworden sind. Dies sind beispielsweise Professor Wladyslaw Bartoszewski auf der einen und Kardinal Karl Lehmann auf der anderen Seite. Im Februar des vergangenen Jahres hat Bartoszewski, in seiner Eigenschaft als Beauftragter des Premierministers für internationale Fragen, einen Ulanenritt nach Berlin unternommen.

Er hat, seine eigene Ehre aufs Spiel setzend, von der Bundeskanzlerin nichts anderes als quasi den Kopf der BdV-Vorsitzenden Steinbach gefordert. Merkel sollte Steinbachs Wunsch blockieren, dem Beirat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung beizutreten, die doch eigentlich Steinbachs Kind ist. "Sie oder wir!", rief der wackere Pionier der deutsch-polnischen Versöhnung der Kanzlerin zu. Die durchweg auf Versöhnung mit Polen eingestellte Führung in Berlin rieb sich die Augen, und der sonst so ruhig auftretende Bundestagspräsident Norbert Lammert warf Bartoszewski vor, mit seinen ungerechten Angriffen auf Steinbach selbst die deutsch-polnischen Beziehungen zu schädigen.

Worüber man nicht spricht

Auf den allseits geschätzten Kardinal Lehmann wiederum fiel in Warschau ein Schatten, als er sich während einer von Erika Steinbach organisierten Konferenz aus Anlass des 60. Jahrestages des Warschauer Aufstandes ausgerechnet neben sie setzte. Das letzte Opfer der Causa Steinbach wurde ein hoher polnischer Diplomat, der ertappt wurde, wie er auf eigene Initiative in Berlin Sondierungsgespräche mit ihr führte. Er wurde disziplinarisch gemaßregelt, weil er ihr Abgeordnetenbüro aufgesucht hatte.

Die BdV-Vorsitzende verkörpert in Polen das Böse schlechthin. Allerdings hat man in Warschau überhaupt nicht bemerkt, dass ihre jetzigen Positionen längst nicht mehr dieselben sind wie 1991, als sie gegen den deutsch-polnischen Grenzvertrag stimmte. Sie stellt schon lange nicht mehr die Grenze in Frage und hat sich energisch von der Organisation Preußische Treuhand distanziert, die für die Rückgabe von Immobilien in den Gebieten östlich von Oder und Neiße an die früheren deutschen Besitzer streitet. Aber darüber spricht man lieber nicht. Vor allem deshalb, weil den Polen eingehämmert worden ist, dass die Deutschen, wenn sie der Leiden der Vertriebenen gedenken, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs umschreiben wollen: Man unterstellt in Polen, sie wollten die deutsche Schuld an der Entfesselung des Krieges relativieren und die Vertriebenen auf eine Stufe mit den Opfern des Terrors von Hitler und Stalin stellen.

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Die neue Regierung in Berlin geht mit durchaus angebrachtem Verständnis auf die polnischen Phobien ein. In der Überzeugung, dass Angstzustände nur von einem Psychotherapeuten geheilt werden können, hat allerdings der neue Bundesaußenminister Guido Westerwelle - vermutlich zu schnell - die vorgebliche polnische Staatsräson als unabänderlichen Fakt hingenommen und Erika Steinbach zur Persona non grata im Stiftungsrat erklärt.

Es ist durchaus möglich, dass Westerwelle sich von der bahnbrechenden Ostpolitik Willy Brandts und Walter Scheels leiten lassen wollte, als er während seines Antrittsbesuchs in Warschau in symbolischer wie demonstrativer Weise zu verstehen gab, dass Steinbachs Mitgliedschaft in dem Beirat eine "Belastung für die deutsch-polnischen Beziehungen" wäre. Doch haben die Deutschen in jüngster Zeit sehr wohl gezeigt, dass sie grundsätzlich Rücksicht auf die historische Empfindlichkeit der Polen nehmen wollen. Dies hat beispielsweise Angela Merkel mit ihrer Rede zum 65. Jahrestag des Kriegsbeginns auf der Danziger Westerplatte bewiesen; dies zeigte sich auch beim Herausstreichen des Anteils Polens am Fall der Berliner Mauer.

Kein Kompromiss möglich

Eigentlich können Merkel und Westerwelle den machiavellistischen Vorschlag der BdV-Vorsitzenden nicht annehmen, als Gegenleistung für ihren Verzicht auf einen Sitz in dem Beirat die Position des BdV dort und insgesamt zu stärken. Selbst wenn die deutsche Seite vorschlüge, mehr polnische Historiker in das Projekt einzubinden, um die Person Steinbach, diesen Stein des Anstoßes, zu "neutralisieren", würde sie in Warschau nur auf taube Ohren stoßen. Denn sie funktioniert in den historischen Debatten Polens wie die Kreuzritter des Deutschen Ordens, die im 14. Jahrhundert nicht nur Heiden bekehrt, sondern auch Kriege gegen das christliche Polen geführt haben und die, nicht zuletzt wegen des berühmten Romans des Nobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz, in den polnischen Köpfen zur Verkörperung eines "deutschen Drangs nach Osten" geworden sind.

Aus Warschauer Sicht ist ein Kompromiss auch deshalb nicht möglich, weil im Herbst Premier Tusk um das Präsidentenamt kämpft - gegen den Amtsinhaber Lech Kaczynski, der sich zum Verteidiger des Bildes vom historischen Martyrium der Polen stilisiert. Überdies stehen in diesem Jahr die Feierlichkeiten zum 600. Jahrestag der Schlacht von Grunwald/Tannenberg bevor, in der die Polen den Deutschen Orden schlugen. Und auch das kommt der Vision Kaczynskis zupass, der die Geschichte der Nation als Kette von Heldentaten und Opfern sieht.

Arkadiusz Stempin, 45, polnischer Staatsbürger, ist Professor für Geschichte und Politologie in Krakau und Freiburg.

Übersetzung: Thomas Urban.

© SZ vom 08.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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