Carola Rackete:Im Sog der Idealistin

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Sie stillen die Sehnsucht nach einer besseren Welt: Junge Frauen wie die Kapitänin der Sea-Watch oder auch Greta Thunberg greifen in die Politik ein. Aber allein sind sie als Retterinnen überfordert.

Von Kia Vahland

Erst Greta Thunberg, die Klimaretterin, jetzt Carola Rackete, die Menschenretterin: Junge, so idealistische wie tatkräftige Frauen betreten die Bühne des Weltgeschehens, und sie werden für ihre Entschiedenheit von den einen gehasst, von den anderen vergöttert. Filmreif war das Schauspiel am Wochenende in Italien: Die zierliche Rackete, die ihr schon etwas müdes Gesicht in eine Handykamera an Bord der Sea-Watch 3 hielt, von Verantwortung sprach und erklärte, ihr gehe es nur um das Wohl der 40 Flüchtlinge, die sie jetzt an Land zu bringen gedenke. Und das dann auch tat, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der Sea-Watch 3 nicht beigesprungen war und obwohl ein Polizeiboot das Anlegemanöver in Lampedusa zu verhindern versuchte.

Als Rackete dann das Rettungsschiff verließ, jubelten die einen, schimpften die anderen. Die einen, das waren jene, die bald die Spendenkonten in siebenstelliger Höhe überlaufen ließen. Die Unterstützer erkennen in Rackete eine Heldin, die handelt, wo andere nur reden, und antritt, die europäischen und auch christlichen Werte gegen den mit Menschenverachtung prahlenden italienischen Innenminister Matteo Salvini durchzusetzen. Die anderen sehen in ihr eine aufmüpfige Gesetzesbrecherin mit unverdientem Nimbus. Einige fürchteten, Kapitänin Rackete meine es vielleicht gut, ermutige aber nolens volens Schlepperbanden. Andere, darunter die Lega-Anhänger an der Anlegestelle, fantasierten von Sexorgien auf hoher See und stießen Drohungen aus. Die Enthemmung gipfelte in dem Ausruf "Bum Bum" eines italienischen Geschichtsprofessors, der zum Versenken privater Rettungsschiffe aufrief.

Carola Rackete beflügelt und erregt die Gemüter, in ihr hat die Gegenwart ihre Sehnsuchts- wie ihre Hassfigur gefunden (was sich bedingt). Nicht mehr charismatischen Staatenlenkern wie Barack Obama wird die Weltrettung zugetraut, auch bewaffnete Revolutionäre wie Che Guevara hätten heute kaum noch Starpotenzial. Die Köpfe und Herzen erobern betont vernünftig auftretende junge Frauen, die den Regierenden Europas höflich, aber sehr bestimmt erklären, dass sie sich an ihre eigenen Aussagen zu halten haben - Klimaziele sind umzusetzen, Menschenrechte zu respektieren. Gewaltanwendung liegt ihnen fern; Rackete entschuldigte sich umgehend dafür, das Polizeiboot touchiert zu haben.

Die Akteurinnen der Gegenwart sind keineswegs mit dem Typus der hochgerüsteten Superheldinnen zu verwechseln, die als "Wonder Woman" oder "Captain Marvel" die Kinoleinwände stürmen. Um die Gunst der pazifistischen Greta Thunberg ringen längst auch Wirtschaftsführer, und die unprätentiösen Seenotretter haben auch schon einen Kardinal zum Spenden gebracht. Gestern stellte sich erst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Racketes Seite, dann forderte Bundesaußenminister Heiko Maas ihre Freilassung aus dem Hausarrest. Jeder will an der Energie des Guten und Richtigen teilhaben.

Könnten diese Aura der Glaubwürdigkeit nicht auch junge Männer verströmen? Sicher. Sie aber werden eher in der klassischen Rolle des Konkurrenten im Ringen um Macht wahrgenommen. Kevin Kühnert, der bei allem sozialistischen Gedankengut an die SPD-Spitze strebt; Rezo, der mit seinem sicher ernst gemeinten Idealismus die CDU vorführt. Die jungen Frauen wollen vielleicht auch an die Macht, sie aber agieren in einem besonderen historischen Moment. Frauen sitzen kaum in Aufsichtsräten, bekleiden seltener Staatsämter. Schon deshalb gelten sie als weniger korrupt, als weniger nachgiebig gegenüber Lobbyisten und Fatalisten. Zugleich aber werden sie heute nicht mehr vor allem an der Norm weiblicher Bescheidenheit gemessen. Ihr unbedingter Einsatz, ihre Konsequenz erscheinen als die dringliche Stimme von Außenstehenden, die den Betriebsblinden Fehler aufzeigen.

So taugt die Idealistin zur Hoffnungsträgerin, und sie wird ihrerseits idealisiert. Was zur Bürde werden kann, weil es den Akteurinnen eine übermenschliche (und darin auch wieder klischeehafte) Reinheit abverlangt. Mit ihrem Leben sollen sie einstehen für ihre Anliegen und das Publikum, das viel bequemer ist als sie, moralisch entlasten. Ein Interkontinentalflug, und mit dem Ruhm der Greta Thunberg kann es vorbei sein. Eine richtig radikale Bemerkung der Carola Rackete zur Einwanderungspolitik, und das jetzt noch gerührte Bürgertum könnte seine Portemonnaies wieder schließen.

Es wird nicht reichen, der deutschen Kapitänin und der schwedischen Schülerin vorne auf der Bühne zu applaudieren. Es genügt nicht, wenn zwei zeigen, wie ein richtiges Leben im falschen doch noch gelingen mag. Das ist eine Überforderung. Statt Projektionsfiguren müssen die neuen Heldinnen Menschen sein dürfen, und die anderen Menschen auch ein bisschen Helden.

© SZ vom 02.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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