Die Lady Siria nimmt viel Platz weg. Der Frachter aus Belize liegt an der Pier des Hafens von Larnaka und löscht Getreide. 150 Meter hatte die Besatzung der Korvette Ludwigshafen bestellt. 100 Meter sind es nur geworden. Das ist nicht viel für ein Schiff von 90 Metern Länge. Zudem hat die Ludwigshafen Larnaka noch nie angefahren, ein "Fremdhafen" ist die zyprische Stadt. Unter den Augen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) können Kapitän Phillip Wohlrab und seine Leute nun zeigen, wie gut sie einparken können.
36 Stunden zuvor. Sein zweites Kind erlebt Danny René S. als erstes am Handy. Die Schwiegermutter schaltet in der Nacht zu Mittwoch auf Bildübertragung aus dem Krankenhaus, so kann der Oberstabsgefreite von einem Hotelzimmer im zyprischen Limassol aus gegen zwei Uhr früh Ortszeit seine neugeborene Tochter und seine Frau in Deutschland sehen und hören.
Danny René S., 31, ist Kraftfahrer bei der Bundeswehr. Siebenmal hatte er sich um einen Auslandseinsatz beworben, dann klappte es endlich. Seine Frau war trotz Schwangerschaft und erhöhtem Risiko einer Frühgeburt einverstanden. Seit Mitte Oktober gehört er nun zum deutschen Kontingent des UN-Einsatzes Unifil. In dessen Rahmen hilft die Bundeswehr dem Libanon beim Schutz seiner Küste vor Waffenschmugglern und mittlerweile auch bei der Ausbildung einer schlagkräftigen Marine. Vier Monate dauert die Entsendung, wohl erst Ende Februar 2020 wird Danny René S. seiner Tochter in Deutschland erstmals persönlich begegnen.
Später auf der Weihnachtsfeier im Camp Castle, dem Anlegeplatz der Marine im Hafen von Limassol, würdigt Annegret Kramp-Karrenbauer den jungen Soldaten und sein Engagement, quasi als Beispiel für die Entbehrungen von Soldaten im Auslandseinsatz. Noch dazu kurz vor Weihnachten. "Es gibt viele Zeiten im Jahr, wo man Heimweh hat, aber besonders viel Heimweh hat man an Weihnachten", sagt die Verteidigungsministerin.
Für ihren ersten Weihnachtsbesuch bei der Truppe hat Kramp-Karrenbauer nach eigenen Worten bewusst das Unifil-Kontingent mit etwa 120 Soldatinnen und Soldaten ausgesucht, stellvertretend für die insgesamt etwa 3600 Bundeswehrangehörigen, die derzeit weltweit stationiert sind. Es sei ein Einsatz, in dem Deutschland "schon lange Verantwortung trägt", so Kramp-Karrenbauer, über den aber kaum gesprochen werde.
Tatsächlich ist der Unifil-Einsatz vielleicht die Auslands-Mission, die wie kein anderer für die Regierungszeit Angela Merkels und ihrer drei großen Koalitionen steht. 2006, die neue Regierung in Berlin hatte sich kaum sortiert, verständigte man sich, auch auf Drängen Israels, auf die Beteiligung an einer "seeseitigen Absicherung" der libanesischen Küste, um die Nachschublinien der islamistischen Hisbollah abzuschneiden. Der SPD-Vorsitzende hieß damals noch Kurt Beck, der CSU-Chef Edmund Stoiber und der Vizekanzler Franz Müntefering. Kramp-Karrenbauer wirkte damals noch als erste Innenministerin Deutschlands im Saarland.
Derzeit kontrolliert die Bundeswehr pro Tag 19 Schiffe
Die Unifil-Schiffe kontrollieren die Gewässer vor der Küste des Libanon. Derzeit sind neben der deutschen Korvette Ludwigshafen noch Boote aus der Türkei, Griechenland, Malaysia, Indonesien und Brasilien unterwegs. Knapp 100 000 Mal haben die UN-Schiffe in den vergangenen Jahren insgesamt Schiffe im östlichen Mittelmeer angerufen. Derzeit kontrolliere die Bundeswehr pro Tag 19 Schiffe, von denen sieben an die Libanesen zur weiteren Kontrolle überstellt würden - beides jeweils Durchschnittswerte. Außerdem hilft die Bundeswehr bei der Ausbildung der libanesischen Marine und bei der Ertüchtigung des Küstengrenzschutzes, zum Beispiel mit der Modernisierung von neuen Radaranlagen.
Der Einsatz, so sagt es Kramp-Karrenbauer am nächsten Morgen an Bord der Ludwigshafen, sei weiter sinnvoll. Allerdings hat sich drumherum in den 13 Jahren der Mission einiges geändert. Die Nachschublinien der Hisbollah übers Mittelmeer wurden zwar abgeschnitten, mittlerweile erhält sie ihre Waffen vorwiegend aus dem Iran stattdessen auf dem Landweg über Syrien. Das Einsatzgebiet der Bundeswehr, etwa viermal die Fläche des Saarlands, ist inzwischen wegen mutmaßlicher Gas- und Ölvorkommen von besonderem Interesse für die Anrainerstaaten, von denen Zypern, Griechenland, die Türkei, Israel und der Libanon ohnehin schon kreuz und quer in äußerst schwierigen Beziehungen leben. Hinzu kommt seit einigen Wochen die eskalierende innenpolitische Lage im Libanon.
Man sei "ganz nah an den Unruheregionen im Nahen Osten", sagt Kramp-Karrenbauer, auch mit Blick auf die Flüchtlingsströme. Wenn es nach der Ministerin geht, soll die Bundeswehr künftig nicht mehr nur dabei sein, sondern womöglich mittendrin. Wiederholt hat sie in ihren ersten Monaten im Amt die Debatte eingefordert, was die Übernahme von mehr Verantwortung für Deutschland bedeute - und mit ihrem Vorstoß zu einer Schutzzone in Nord-Syrien auch einen konkreten, einstweilen allerdings verpufften Vorschlag gemacht.
Gut drei Stunden verbringt Kramp-Karrenbauer auf der Ludwigshafen. Vor einer Woche hat es hier vor Zypern noch gestürmt und gehagelt. Und die Ludwigshafen ist eigentlich für die flachen Gewässer der Ostsee gebaut, der Tiefgang liegt bei weniger als fünf Metern. So ein Schiff schwankt schnell, wenn es wellig wird. Doch an diesem Donnerstag ist der Himmel blau und das Meer ruhig. Gute Voraussetzungen für die Ministerin, die sich ihrer persönlichen Seetauglichkeit nach eigenem Bekunden nicht sicher ist.
Die Fahrt führt entlang der zyprischen Küste. Kramp-Karrenbauer erlebt eine Übung, bei der ein Hubschrauber auf der Korvette landet und eine Puppe auf einer Bahre in Empfang nimmt: Bei dem "Patienten" besteht nach einem Sturz über die Reling aufgrund von schweren Prellungen der Verdacht auf Blutungen im Bauch und womöglich auch im Hirn. Einen Schiffsarzt gibt es in der etwa 40-köpfigen Besatzung nicht, eine Rettungssanitäterin ist hier für alles Medizinische zuständig, leistet die Erstversorgung und entscheidet letztlich auch, ob der Patient ausgeflogen wird, oder das Schiff in den nächsten Hafen einfährt. Heute ist es nur eine Übung. Bei ihrem letzten Einsatz musste sie einen Kameraden mit Lungenembolie retten.
In echt. Gegen 12 Uhr dreht sich die Ludwigshafen im kleinen Hafenbecken von Larnaka. Die Ministerin steht auf der Brücke und verfolgt das Anlegemanöver. Ein griechischer Lotse unterstützt die Besatzung. Meter für Meter nähert sich das Schiff dem schmalen Liegeplatz. "Das ist, als spielten wir Tetris", sagt Kapitän Wohlrab. Dann quetscht sich das Schiff gegen die Pontons. De Ministerin eilt zum Flughafen. In Berlin wartet der Koalitionsausschuss.