Bundeswehr:Haltungsfrage

Lesezeit: 4 min

Kaum im Amt, muss sich die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer einem ersten Härtetest stellen - und rückt in ihrer Gedenktags-Rede zum 20. Juli von einer Aussage ihrer Vorgängerin ab.

Von Nico Fried, Berlin

Es ist ein besonderer Tag. Zum Beispiel für den Soldaten, der die Besucher des feierlichen Gelöbnisses über dessen Ablauf informieren darf. Als er sich beim Namen Annegret Kramp-Karrenbauer verhaspelt, regt sich Heiterkeit unter den Ehrengästen und den Angehörigen der Rekruten. "Auch für uns ist das neu", entschuldigt sich der Sprecher, "wir gewöhnen uns gerne dran." Da klatscht das Publikum: Der junge Mann bedankt sich und beweist noch einmal seine Schlagfertigkeit: Es sei ungewohnt für Soldaten, nach Fehlern auch noch Applaus zu bekommen.

Es ist ein besonderer Tag. Zum Beispiel für Annegret Kramp-Karrenbauer. Die neue Verteidigungsministerin absolviert den ersten öffentlichen Auftritt seit der Amtsübergabe durch ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen - noch dazu aus einem Anlass von hoher Bedeutung. Mit dem Gelöbnis auf dem Paradeplatz und einer Feierstunde im Ehrenhof des Bendlerblocks begehen Bundesregierung und Bundeswehr den 75. Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 durch Claus Schenk von Stauffenberg. Kramp-Karrenbauer weiß, dass ein falsches Wort oder ein Schritt in die falsche Richtung willkommene Munition für manche Kritiker ihrer Berufung wären. Auch Politiker bekommen für Fehler selten Applaus.

Tatsächlich erweisen sich die nächsten zweieinhalb Stunden für sie als Härtetest - allerdings ganz anders als erwartet.

Die Rekruten haben sich aufgestellt, die Ehrenformation ist mit der Truppenfahne einmarschiert. Zusammen mit Kanzlerin Angela Merkel und Generalinspekteur Eberhard Zorn hat Kramp-Karrenbauer die Reihen abgeschritten. Merkel ist nicht zu ihrer Unterstützung mitgekommen, sie hatte als Ehrengast schon lange vor dem Wechsel im Ministerium zugesagt. "Gelöbnisaufstellung, rührt euch!", ruft um 10.37 Uhr Oberstleutnant Kai Beinke. Die Ministerin geht nun allein zum Rednerpult, beobachtet übrigens auch von Gesundheitsminister Jens Spahn. Er hatte, wie er später erzählt, auch schon zugesagt, bevor überhaupt die Möglichkeit bestand, dass er von der Leyens Nachfolger werden könnte.

Antreten zum Small Talk: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer trifft nach dem Gelöbnis neue Rekruten. (Foto: Carsten Koall/Getty Images)

"Heute ist ein besonderer Tag für Sie", beginnt Kramp-Karrenbauer ihre Rede an die Soldaten. Es sei ein großer Schritt und eine mutige Entscheidung, zu geloben, Deutschland im Ernstfall womöglich mit dem eigenen Leben zu verteidigen. Der soldatische Dienst erfordere Gehorsam, "aber keinen blinden und schon gar nicht Kadavergehorsam", sagt die Ministerin. Das "staatsbürgerliche Gewissen" wählt sie als verbindendes Element zu den Attentätern vom 20. Juli. Die Gruppe um Stauffenberg habe gegen Hass, Tyrannei, Mord und Verbrechen aufbegehrt und ihre soldatische Pflicht darin gesehen, "der Würde und der Freiheit des Einzelnen wieder Geltung zu verschaffen".

Die Soldaten stärkten die Wehrhaftigkeit der Demokratie. Dafür gebühre ihnen Dank, so Kramp-Karrenbauer. "Aber Dank allein reicht nicht." Der Dienst bei der Bundeswehr verlange Respekt, Wertschätzung und Unterstützung - "und zwar von mir zuallererst", so die neue Ministerin. Sie wisse, Deutschland könne sich auf die Soldaten verlassen. "Und ich sage Ihnen: Sie können sich auf mich verlassen!"

Kramp-Karrenbauer spricht dann noch ein Wort aus, das zwischen der Truppe und ihrer Vorgängerin für Ärger gesorgt hatte. Jeder einzelne Soldat werde die Bundeswehr der Zukunft prägen, sagt die neue Ministerin, mit Charakter, "mit ihrer Haltung" und dem Respekt gegenüber anderen. Von der Leyen hatte 2017 nach der Entdeckung mehrerer rechtsextremistischer Aktivitäten der Bundeswehr ein "Haltungsproblem" attestiert und war für diese Verallgemeinerung massiv in die Kritik geraten. Kramp-Karrenbauer nimmt in ihrer Rede die Soldaten in die Verantwortung: Sie sollten ihre Aufgabe pflichtbewusst und verantwortungsvoll wahrnehmen, "mit Verstand, mit Herz und mit Mut". In einem Interview stellt sie sich einen Tag später zudem gegen von der Leyens Diagnose: "Es gibt keinen Generalverdacht", so die Ministerin. Das heiße aber nicht, "dass wir nicht genau hinschauen, wo etwas kritisch aufgearbeitet werden muss".

Auch die Kanzlerin würdigt in ihrer Rede zunächst den Widerstand vor 75 Jahren. "Es gibt Momente, in denen Ungehorsam eine Pflicht sein kann", sagt sie. Heute sei dies sogar im Artikel 20 des Grundgesetzes festgeschrieben. Auf solches Recht hätten sich Stauffenberg und seine Mitstreiter nicht berufen können. Sie handelten nach ihrem Gewissen und aus "tiefer moralischer Überzeugung". Die Wehrmacht sei kein Vorbild für die Bundeswehr, Wehrmachtsangehörige, die Widerstand geleistet haben, aber schon, so Merkel.

Alle Widerstandsgruppen habe eines geeint, sagt die Kanzlerin - ihr Gewissen

Nur sehr indirekt geht Merkel auf die Debatten um die finanziellen Aufwendungen für die Bundeswehr ein. "Wir müssen stets unter Beweis stellen, dass wir bereit und fähig sind, unsere Streitkräfte einzusetzen und uns zu verteidigen", sagt Merkel. Die Bundeswehr müsse die notwendige Ausrüstung und Ausbildung erhalten. "Das schulden wir unseren Soldatinnen und Soldaten und auch unseren Partnern."

Es sind gewiss nicht allein die Reden der Politikerinnen, sondern vor allem die Hitze, die sich über den Paradeplatz gelegt hat, die bei fast allen Waffengattungen außer der Marine schon vor dem Gelöbnis zu Ausfällen führen. Sanitäter hinter Tarnnetzen kümmern sich an mehreren Ecken des Paradeplatzes um blasse Soldaten mit kollabierten Kreisläufen. Derweil sprechen die anderen knapp 400 Rekruten die Eidesformel. Sechs von ihnen dürfen anschließend noch zum Handschlag und Small Talk mit Kanzlerin und Ministerin vortreten - das Geschlechterverhältnis von vier Frauen und zwei Männern entspricht dabei nicht ganz der Gesamtverteilung in den angetretenen Abordnungen.

Während die Soldaten mit ihren Angehörigen feiern, ziehen Merkel, Kramp-Karrenbauer und viele Gäste um in den Ehrenhof, wo in der Nacht zum 21. Juli 1944 Stauffenberg und drei andere Offiziere erschossen wurden. An der Todeswand hängt inzwischen eine Gedenktafel. Etwa 700 Nachkommen aus vier Generationen haben sich versammelt, die Sitzordnung weisen Schilder auf den Stühlen aus, auf denen zum Beispiel steht: "Widerstand 1. Generation." Hier trifft die neue Ministerin Verena von Hammerstein, die 97 Jahre alte Witwe von Franz von Hammerstein. Dessen Bruder Ludwig war an der Planung des Attentats beteiligt, konnte aber entkommen. Statt seiner verhafteten die Nazis Franz von Hammerstein, steckten ihn in Einzelhaft und später ins Konzentrationslager Buchenwald. Die Ministerin führt ein angeregtes Gespräch mit der alten Dame, die sich gegen die Sonne mit einem schwarzen Hut und einem rosa Schirm zur Wehr setzt.

Während Merkel in der angenehmen Schattenseite des Hofes Platz genommen hat, muss Kramp-Karrenbauer in der prallen Sonne sitzen. Merkel würdigt in einer zweiten Rede den Widerstand um Stauffenberg. Die Attentäter hätten "gehandelt, als andere schwiegen, sie übernahmen Verantwortung, als andere wegsahen". Die Kanzlerin gedenkt aller Widerstandsgruppen, die alle eines geeint habe: ihr Gewissen. "Sie konnten Nichthandeln nicht rechtfertigen vor sich und vor anderen." Weil sie ihr Leben riskierten, seien sie "im Wortsinne todesmutige Männer und Frauen gewesen".

Nach Kranzniederlegung, Totengedenken und Nationalhymne geht ein langer Vormittag zu Ende. Die neue Ministerin ist im Amt angekommen - im Schweiße ihres Angesichts. Am Mittwoch wird sie in einer Sondersitzung des Bundestages vereidigt, alsbald dürfte sie erste Truppenbesuche unternehmen. Bei den Soldaten zum Beispiel in Malis Wüste wird sie erleben, dass es im Einsatz noch bedeutend heißer werden kann als im Bendlerblock.

© SZ vom 22.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: