Bundeswehr:Alte Konflikte, neue Mission

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Seit drei Jahren bildet die Bundeswehr im Nordirak Peschmerga für den Kampf gegen den IS aus. Nun gilt die Terrormiliz als militärisch geschlagen, und der deutsche Einsatz muss überdacht werden.

Von Mike Szymanski, Erbil

Else wird alt - bereit seit 1970 fliegt das Transportflugzeug vom Typ Transall für die Bundeswehr. Die derzeit laufende Beschaffung neuer Maschinen der Marke Airbus A400M kostet den Etat Milliarden. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Auch wenn Major Denz vor einer Sandkiste steht und vom German Village die Rede ist, dem deutschen Dorf, sollte jetzt kein falscher Eindruck entstehen. Das hier ist nicht Deutschland. Und erst recht kein Spielplatz. Es geht um Krieg. Wer das immer noch nicht verstanden hat, wird sich wenig später Stöpsel in die Ohren fummeln müssen, wenn aus Gewehren scharf auf Scheiben gefeuert wird.

Major Denz ist Ausbildungsleiter der Bundeswehr im nordirakischen Erbil. Ein Mann wie ein Schrank, mit kahl rasiertem Schädel. Die Sandkiste? Ein Abbild des Geländes, mit Legosteinen als Häusern und roten Bändern als Straßen im Gebirge. Damit bringt Denz Soldaten bei, wie sie Stellungen verteidigen oder einnehmen. Bis im vergangenen Jahr war das noch eine Frage des Überlebens für die kurdischen Peschmerga, die sich im Nordirak der Terrormiliz IS entgegengestellt hatten - mit Waffen und Wissen aus Deutschland.

Dass die Peschmerga die Kraft dazu hatten, den IS zu besiegen, schreibt Major Denz einerseits der Entschlossenheit der Kämpfer zu. Der Name Peschmerga bedeutet so viel wie: "Die dem Tod ins Auge Sehenden". Andererseits glaubt er an die Arbeit der deutschen Ausbilder. Wenn Denz sagt, er sei zufrieden, dann hat das auch etwas von einer Bilanz. Der deutsche Einsatz im Kampf gegen den IS steht vor einer Zäsur. Als die Bundeswehr vor drei Jahren mit zwölf Ausbildern in Erbil ihre Arbeit aufnahm, standen Peschmerga vor ihm, die nicht wussten, wie sie ihre Waffen zu bedienen haben. Heute, im Februar 2018, sagt Denz, hätten sie eine "stabile Basis" erreicht. Die Peschmerga hätten die Grundlagen, um ihr Land zu verteidigen.

Im Februar will von der Leyen ein überarbeitetes Einsatzmandat im Kabinett vorschlagen

Denz kennt den Einsatz von Anfang an. Und - wenn es kommt, wie es die Politik will - dann begleitet Denz auch das Ende der Irak-Mission der Bundeswehr in dieser Form. Deshalb ist Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit einer Transall-Transportmaschine, die den Namen Else trägt, übers Wochenende in den Irak geflogen. Sie hat die Zentralregierung in Bagdad und ihre 130 Mann starke Truppe in Erbil besucht. Sie sei gekommen, um "auszuloten", wie das weitere Engagement der Deutschen im Irak aussehen soll. Der IS gilt zwar als "militärisch geschlagen", aber keineswegs als besiegt. Der Irak sei "schwer gezeichnet", er liegt am Boden. Alte Konflikte brechen auf.

Es geht um große Fragen: Wer ist noch Partner - im Land, aber auch außerhalb? Wo sich der Westen in Form der USA zurückzieht, füllt Russland schnell das Vakuum. Im Irak will Deutschland auch deshalb Präsenz zeigen. An Jordanien als Standort der Bundeswehr, von wo aus deutsche Aufklärungs- Tornados zu Einsätzen über Syrien und dem Irak starten und landen, möchte von der Leyen ebenfalls festhalten, obwohl die Piloten weniger zu tun haben, seitdem der IS militärisch geschwächt wurde. Berlin bröckelt, wenn man so will, die Grundlage für die Einsatzmandate weg. Das ist einerseits eine gute Nachricht. Auch die Soldaten um Major Denz würden nichts lieber machen, als ihre Sachen in die "Else" zu räumen. Aber von der Leyen sagt nach ihren Treffen mit dem irakischen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi und anderen Regierungsvertretern in Bagdad, ihre Gesprächspartner wünschten sich "eine stärkere europäische Präsenz" im Land. Deutschland werde noch gebraucht.

Noch im Februar will von der Leyen mit einem Vorschlag für ein überarbeitetes Mandat ins Kabinett. Die Zeit drängt, denn der bisherige Einsatz ist bis Ende April befristet. Vom Grundsatz her waren sich Union und SPD in den Koalitionsgesprächen einig: Die Ausbildungsmission im Nordirak soll als solche beendet werden. Das künftige Einsatzmandat muss von der Leyen zufolge die Stabilität des ganzen Landes in den Fokus nehmen. Die ist nach den Erfolgen gegen den IS vor allem dadurch bedroht, dass sich die autonome Kurdenregion um Erbil im vergangenen Jahr per Unabhängigkeitsreferendum weiter von der Zentralregierung in Bagdad loslösen wollte. Der Versuch scheiterte kläglich. Seither herrscht Eiszeit. Und die Bundeswehr befindet sich in einer schwierigen Rolle.

Bislang hatten vor allem die Peschmerga vom Einsatz der Bundeswehr profitiert. Bagdad schaute eifersüchtig darauf, wie viel militärische Unterstützung der Nordirak bekam. Am Sonntag hat von der Leyen Richtfest für eine Klinik in Erbil gefeiert. Allein das Projekt kostete 4,2 Millionen Euro. Aber diese Großzügigkeit war nur so lange zu rechtfertigen, wie die Peschmerga die Front zum IS verteidigten und Allianzen mit den irakischen Streitkräften hielten. Nun haben sich die Umstände geändert. Von der Leyen sagt, es gehe um eine "neue Balance zwischen Bagdad und Erbil". Die irakische Regierung wünschte sich beim Treffen mit ihr Hilfe in der Logistik-Ausbildung und deutsche Expertise bei der Versorgung Verwundeter.

Die Bundeswehr sieht Vorteile, mit beiden Streitkräften enger zusammenzuarbeiten: Sie könnte Führungskräfte ausbilden, womöglich sogar in gemeinsamen Kursen. Wer sich kennt, mag im Ernstfall Hemmungen haben, aufeinander zu zielen. Langfristig könnte Deutschland dem Irak beim Zusammenwachsen seiner Streitkräfte helfen. Aber noch schwebt viel Wenn und Aber über solchen Plänen. Und wer mit Brigadegeneral Ismail Hazhar spricht, Abteilungsleiter im Ministerium der Peschmerga, ahnt, wie viel Misstrauen noch zwischen Bagdad und Erbil herrscht. Wenn der Irak seine Konflikte nicht in den Griff bekomme, sei der IS in ein paar Jahren in alter Stärke zurück. Auf die Unterstützung der Deutschen will er nicht verzichten. Mindestens "drei, vier Jahre" bräuchten die Peschmerga noch Aufbauhilfe. Die Politik in Berlin hat noch nicht wirklich angefangen, darüber zu diskutieren.

Major Denz und seine Soldaten erinnert ein ausgebranntes Ungetüm daran, was sie im Irak schon erreicht haben. Es ist das Wrack eines vom IS zur rollenden Bombe umgebauten Lasters. Er steht auf dem Gelände im German Village - wie ein Mahnmal aus einer viel düsteren Zeit.

© SZ vom 12.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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