Bundesverfassungsgericht:Überraschend strikt

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Astrid Wallrabenstein bei ihrer Vereidigung als Richterin am Bundesverfassungsgericht. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Die Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein darf beim weiteren Fortgang des EZB-Verfahrens nicht mehr mitentscheiden. Ihre Richterkollegen halten Zweifel an ihrer Unbefangenheit für "nachvollziehbar".

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

In den Wochen nach dem umstrittenen Karlsruher Urteil zum Anleihekaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank war die Frankfurter Professorin Astrid Wallrabenstein eine interessante Gesprächspartnerin. Sie war soeben zur Verfassungsrichterin gewählt worden, und kurz vor ihrer Ernennung am 22. Juni führte sie ein Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, das sie nun einholt: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts, ihr Senat, hat sie auf Antrag des Klägers Peter Gauweiler für den weiteren Fortgang des EZB-Verfahrens als befangen abgelehnt.

Dass das Verfahren überhaupt fortgeführt wird, liegt an einem Antrag Gauweilers auf "Vollstreckungsanordnung". Das Gericht solle durchsetzen, dass die EZB die Vorgaben des Urteils umsetzt - also die Prüfung, ob die Anleihekäufe wirklich verhältnismäßig sind. Ein solches Verfahren nach dem Verfahren ist ungewöhnlich, aber im Gesetz vorgesehen.

Daran darf Wallrabenstein nun nicht teilnehmen, weil ihre Äußerungen in der Zeitung aus Sicht des Zweiten Senats ein Verständnis des EZB-Urteils nahelegen, "das jedenfalls dem Wortlaut des Urteils keine entscheidende Bedeutung beimisst". Gemeint ist die Formulierung, es sei der Bundesbank untersagt, an den Anleihekäufen mitzuwirken, "wenn nicht der EZB-Rat in einem neuen Beschluss nachvollziehbar darlegt, dass die mit dem PSPP angestrebten währungspolitischen Ziele nicht außer Verhältnis zu den damit verbundenen wirtschafts- und fiskalpolitischen Auswirkungen stehen".

Beim Ausschlussverfahren gab es mehrere Gegenstimmen

Ein Beschluss? Sie wisse nicht, "ob es letztlich so wichtig ist, dass die verlangte Erklärung der EZB in einem neuen 'Beschluss' des Rates ergeht", kommentierte die designierte Richterin. Vielleicht habe das Verfassungsgericht nur sichergehen wollen, "dass die EZB sich noch einmal ernsthaft damit befasst, und dass ein Minimum an formeller Eindeutigkeit und auch eine gewisse Vollständigkeit gewährleistet wird". Dann müsse es nicht zwingend ein "Beschluss" sein, weil es letztlich "weniger auf die technische Form als den Zweck ankomme". In ihrer dienstlichen Äußerung zum Befangenheitsantrag sagte sie, dies sei eine mögliche Interpretation des Urteils, aber keine Vorfestlegung. Der Zweite Senat schloss sie dennoch aus - wobei es unter den sieben Richtern mehrere Gegenstimmen gab.

Die Frage, ob wirklich ein förmlicher "Beschluss" nötig ist, ist durchaus relevant; die EZB hat der Bundesregierung bisher lediglich einige Dokumente vorgelegt. Man muss allerdings wissen, dass das Gericht eine Richterin nicht allein aus Gründen der besseren Optik für befangen erklären darf. Das geht streng nach dem Gesetz - sonst könnte ein Senat seine eigenen Mehrheitsverhältnisse manipulieren.

Die überraschend strikte Haltung, die nun der Zweite Senat einnimmt, steht aber in auffälligem Kontrast zu der ansonsten eher großzügigen Linie des Gerichts. Im Dezember 2019 hielt der Erste Senat den neuen Kollegen Stephan Harbarth, inzwischen Präsident des Gerichts, im Verfahren zu den Kinderehen nicht für befangen, obwohl dieser nach eigener Auskunft "intensiv" am entsprechenden Verbotsgesetz mitgewirkt hatte.

Dass Zweifel an Wallrabensteins Unbefangenheit "jedenfalls nachvollziehbar" seien, untermauert der Senat mit vier früheren Beispielen. Dort ging es freilich nicht um ein paar Halbsätze in einem Zeitungsartikel, sondern um verwurzelte Überzeugungen oder berufliches Engagement für eine Sache - oder beides. Peter Müller durfte vergangenes Jahr am Urteil zur Suizidhilfe nicht teilnehmen, weil er einst als Ministerpräsident an einem sehr ähnlichen Gesetzesentwurf beteiligt war. Ferdinand Kirchhof wurde 2014 in Sachen Kopftuch für befangen erklärt, weil er für Baden-Württemberg das Verbotsgesetz sozusagen selbst geschrieben hatte. Udo Steiner lehnte sich 1997 beim Schwangerenhilfe-Ergänzungsgesetz gleich selbst ab, weil er als Professor beim Thema Abtreibung in Karlsruhe für Bayern gekämpft hatte. Auch Roman Herzog war 1986 bei der Entscheidung über eine Daimler-Teststrecke befangen; er hatte als Politiker entsprechende Beschlüsse unterstützt.

Übrigens hatte nach dem PSPP-Urteil auch Peter Michael Huber Interviews gegeben, als Richter federführend für das Verfahren zuständig. Auch dort ging es um den von Karlsruhe geforderten "Beschluss" des EZB-Rats. Die FAZ wollte wissen, in welcher Weise bei der EZB die Verhältnismäßigkeit geprüft werden sollte. "Entscheidungen müssen gegenüber der Öffentlichkeit gerechtfertigt werden", entgegnete Huber. "Wie das gemacht wird, ist mir eigentlich egal."

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