Wer Gott ins Handwerk pfuscht, lädt Schuld auf sich, hat Wolfgang Huber, der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, einmal gesagt. Es mag zwar im Einzelfall gute Gründe geben, in den Prozess des Lebens und Sterbens einzugreifen. Die Last dieser Entscheidung kann den Menschen aber niemand abnehmen. Das gilt auch für die Bundestagsdebatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID), die am Donnerstag mit großem Ernst geführt wurde: Es gibt gute Gründe, Paaren mit Erbkrankheiten zu erlauben, ihren Nachwuchs bei der künstlichen Befruchtung zu testen und kranke Embryonen auszusortieren; damit kann späteres Leid verhindert werden. Der Bundestag wird gleichwohl keine ethisch unproblematische Lösung finden können. Die Abgeordneten werden nicht unschuldig aus der Abstimmung hervorgehen.
Trotzdem müssen sie, um der betroffenen Paare willen, die Tests zulassen.
Das wichtigste Argument für die PID sind eben diese betroffenen Paare selbst. Wer sich je ein Kind gewünscht hat, kann das Leid von Menschen nachempfinden, die diesen Wunsch seit Jahren hegen und mehrere Fehlgeburten erleben mussten oder die sich nach dem Tod eines schwerkranken Kindes ein gesundes wünschen. Viele Ehen zerbrechen an der Herausforderung, die ein krankes Kind bedeutet. Und auch eine ungewollte Kinderlosigkeit kann Menschen in eine existentielle Krise stürzen, vergleichbar mit dem Verlust eines geliebten Menschen. Es ist zynisch, diesen Eltern Perfektionswahn vorzuwerfen. Sie wollen kein blondes oder blauäugiges Kind, sondern eines, das sie aufwachsen sehen dürfen.
So gesehen vertreten die PID-Befürworter um Staatssekretär Peter Hintze den menschlichsten Ansatz. Sie haben die Not der Eltern im Blick und wollen verhindern, dass Frauen Schwangerschaften eingehen, die in eine Abtreibung münden. Die ethische Klippe des Gesetzes ist, dass es dafür eine Werteverschiebung in Kauf nimmt, die aus Sicht der Kritiker geradewegs in eine unmenschliche Gesellschaft führt. Der Entwurf legitimiert die Selektion von Leben. Eltern dürften sich einen Embryo aussuchen und einen anderen, kranken verwerfen. Kinder, die mit der PID gezeugt werden, entstehen nicht mehr um ihrer selbst willen, argumentiert etwa Ex-Ministerin Ulla Schmidt - und sie hat recht. Die Angst vor der Selektion ist ein starkes Argument gegen die Tests. Doch es ist auch ein theoretisches.
Denn in der Praxis findet genau diese Selektion schon statt. Wer heute schwanger wird, ist nicht mehr einfach "guter Hoffnung", er ist neun Monate in Sorge. Grund dafür sind immer genauere Screenings, mit denen Ärzten nach möglichen Fehlbildungen fahnden. Viel zu selbstverständlich werden "Vorsorge"-Untersuchungen angeboten, an deren Ende keine Therapie, sondern nur Tod oder Leben des Fötus stehen kann. Das gilt aber etwa für Tests auf die geistige Behinderung Trisomie 21 noch viel mehr als für die PID. Erstere werden routinemäßig allen Schwangeren nahegelegt. Die PID kommt nur für Frauen in Frage, die von ihrer Erbkrankheit wissen und die Strapaze einer künstlichen Befruchtung auf sich nehmen. Wohin entwickelt sich eine Gesellschaft, die alle Krankheiten ausschließen will? Die mahnende Frage ist richtig. In ihrer Auswirkung ist die PID aber längst nicht der gravierendste Test.
Die PID zuzulassen, heißt ein ethisches Dilemma zuzulassen. Ein Verfahren, das kranke von gesunden Embryonen trennt ist nicht ohne Werteverlust zu haben. Nur: Auch die Anhänger eines Verbots, zu denen die Kanzlerin gehört, argumentieren nicht von einer moralisch höherwertigen Warte. Abgesehen von der Frage, ob es zulässig ist, Menschen ein Wissen zu verweigern, das ihnen großes Leid ersparen kann, bleibt die Erkenntnis, dass auch ein Verbot Leben verhindert, nämlich bei all jenen Paaren, die auf Grund ihres erblichen Leidens ohne die Vorauswahl im Reagenzglas immer wieder Totgeburten erleiden.
Die Entscheidung, ein Kind zu bekommen, gehört in den Intimbereich eines Paares. Die Eltern ziehen das Kind groß, bleiben ein Leben lang für es verantwortlich. Der Gesetzgeber sollte sich nicht ohne Not in ihre Entscheidung einmischen. In einer Gesellschaft, in der es immer weniger Kinder gibt, sollte er die Entscheidung auch nicht unnötig erschweren. Allerdings müssen die Abgeordneten mögliche Konsequenzen im Blick behalten.
In Sinne von Hubers Verständnis heißt Schuld auf sich laden auch Verantwortung übernehmen. Es geht darum, all jene ernst zu nehmen, die befürchten, dass die PID - einmal für schwere Fälle eingeführt - nach und nach immer leichtfertiger eingesetzt wird. Die Angst vor dem Missbrauch ist berechtigt. Andererseits ist eine solche Entwicklung auch nicht zwingend, wie auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier in der Debatte fast beschwörend einwarf. Das beweisen Beispiele wie das Gendiagnostikgesetz, wo der Gesetzgeber den Schutz des ungeborenen Lebens sogar verschärfte. Die Abgeordneten können also gegensteuern, wenn sie wachsam bleiben. "In Deutschland gelingt uns das vielleicht besser als anderswo", sagte Steinmeier. Die dreistündige Debatte im Bundestag macht Hoffnung, dass er recht behalten könnte.