Bundespräsident:Seltsam gehemmt

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Frank-Walter Steinmeier liegt das Thema "Zukunft der Demokratie" besonders am Herzen. Genau deshalb sollte er nun mit der ganzen Kraft seiner Autorität die Geschehnisse in Thüringen geißeln.

Von Nico Fried

Allein der Anfang war schon beachtlich: Frank-Walter Steinmeier hat zum 75. Jahrestag der Zerstörung Dresdens die ersten Minuten seiner Rede nicht dem Feuersturm im Februar 1945, sondern der Erinnerung an das Bombardement der polnischen Stadt Wielun gewidmet, mit dem das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg sechs Jahre zuvor begonnen hatte. Erst dann sprach der Bundespräsident sehr berührende Worte des Gedenkens an die Angriffe auf Dresden, unter denen etwa 25 000 Menschen starben. Steinmeier setzte so schon im Aufbau seiner Rede ein starkes Signal, dass Ursache und Folgen, Schuld und Leid zu würdigen sind - in der richtigen Reihenfolge.

Ein Bundespräsident hat nur die Macht des Wortes, aber Steinmeier hat oft auch etwas zu sagen. Das galt schon jüngst für seine Erinnerung an die Befreiung von Auschwitz. Auch in Dresden hat der Bundespräsident gezeigt, wie sehr er darum bemüht ist, der Gefahr einer Ritualisierung des Gedenkens durch Klarheit des Gedankens entgegenzuwirken. Trotzdem bleibt diesmal eine Leerstelle. Sie hat mit den aktuellen Geschehnissen in Thüringen zu tun und den Wirkungen, die sie im politischen Gefüge des Landes entfalten.

Dieser Bundespräsident widmet seit bald drei Jahren einem Thema besondere Aufmerksamkeit und hohes Engagement: der Zukunft der Demokratie. Nun wühlt dieses Thema seit Tagen das Land auf. Es wäre der Moment, in dem Steinmeier manches von dem, was er als Bundespräsident auf vielen Reisen erlebt, in unzähligen Gesprächen gehört, sich quasi erarbeitet hat, zur Geltung bringen könnte. Doch das Staatsoberhaupt wirkt seltsam gehemmt.

Man könnte sagen, die Bombennächte von Dresden sind zu groß, um sie in ein Verhältnis zu der missglückten Ministerpräsidentenwahl in Erfurt zu stellen. Aber davor ist Steinmeier gar nicht zurückgewichen. Im Gegenteil wählte er sogar eine bemerkenswerte Form, die Zerstörung Dresdens als Ende eines Prozesses zu beschreiben, der viel früher mit der Selbstzerstörung von Demokratie und Rechtsstaat begann - und von dort den Bogen zu spannen zu Abgeordneten, die das nun wieder versuchen, wenn sie ihr eigenes Parlament lächerlich machen. Und weiter?

Steinmeier hat mittlerweile drei Reden gehalten, in denen er stets dieses Motiv des Lächerlichmachens wiederholte, freilich als einzigen und etwas verklausulierten Bezug auf die Wahl eines Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD. Es ist der Kontrast zwischen dieser Redundanz und der Dynamik, mit der die Stoßwellen von Erfurt die Politik erschüttern, der zu der Frage führt: Könnte da nicht mehr kommen? Es ist die Diskrepanz zwischen Steinmeiers Vorsicht und den heftigen Folgen des Erfurter Tabubruchs bis hinein in die CDU, eines Stabilitätsfaktors dieser Demokratie, die zu der Frage führt: Ist die Gefahr, vor der Steinmeier warnt, diesen Warnungen womöglich längst enteilt?

Natürlich mahnt der Bundespräsident, es sei Aufgabe aller Bürger, die Demokratie zu verteidigen. Und doch ist das wenig mehr als ein Allgemeinplatz, mit dem er sich im Blick auf die Gegenwart genau jene Ritualisierung leistet, die er im Blick auf die Geschichte vermeidet. Es wäre an der Zeit, dass Steinmeier die Autorität, die er sich durch seine bisherige Amtsführung erworben hat, noch deutlicher und konkreter dafür nutzt, antidemokratisches Verhalten, aber auch komplizenhafte Dummheit und gewalttätige Überreaktion zu geißeln. Wann, wenn nicht jetzt?

© SZ vom 14.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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