Die Liste der Kandidaten ist lang: 42 Piraten bewerben sich bisher für ein Amt im siebenköpfigen Bundesvorstand der Partei - nicht ausgeschlossen, dass es beim Bundesparteitag in Neumünster am Wochenende noch mehr werden. Die Mitglieder sind berüchtigt für ihre spontanen Kandidaturen - und es sind keineswegs nur Querschläger, die sich noch am Abstimmungstag aufstellen lassen. Die politische Geschäftsführerin Marina Weisband etwa kam auf diesem Wege ins Amt - und wurde nach dem überraschenden Einzug der Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus schnell zum Sprachrohr der jungen Partei.
Weisband will nicht mehr antreten, genauso wie Schatzmeister Rene Brosig. Bereits im Januar hat die populäre politische Geschäftsführerin angekündigt, für eine Weile Pause von der Politik zu machen, Brosig zog im April nach. Beide hatten unter der enormen Belastung gelitten, die der Vorstandsposten nach dem Hype um die Partei mit sich brachte.
Die Vorstände der Piraten werden nicht bezahlt - alles muss ehrenamtlich neben der Arbeit oder der Uni erledigt werden. Vor allem für Marina Weisband dürfte der Posten der politischen Geschäftsführerin längst mehr als ein Vollzeit-Job gewesen sein - sie gab zuletzt, so teilte sie ihren Fans bei Facebook mit, bis zu sieben Interviews täglich, oft war sie mehrmals wöchentlich in Talkrunden zu Gast, erst in der vergangenen Woche erlitt sie einen Zusammenbruch.
Der derzeitige Bundesvorsitzende Sebastian Nerz hingegen kandidiert erneut. Auch er klagte über die hohe Belastung. Doch er will trotzdem im Amt bleiben: "Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass wir die Politik in Deutschland verändern. Einen neuen Politikstil etablieren, Menschen und Politik wieder enger zusammenbringen, Grundrechte stärken."
Nicht alle Kandidaten wirken seriös
Auch sein Stellvertreter Bernd Schlömer tritt noch einmal an - und zwar nicht nur für seinen alten Posten, sondern auch für den von Nerz. Er gilt als aussichtsreichster Herausforderer, gerade im einflussreichen Landesverband Berlin hat der Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium größeren Rückhalt als das ehemalige CDU-Mitglied Nerz, der vielen als zu konservativ gilt.
Reichlich mediale Aufmerksamkeit hat auch noch eine andere Kandidatin bekommen: Julia Schramm. Die 26-jährige Politologin hat es im vergangenen Jahr als Gesicht der "datenschutzkritischen Spackeria" in die Presse geschafft - einem Flügel der Partei, der das Ende der Privatsphäre im Netz propagiert. Im September veröffentlicht Schramm ihr erstes Buch: "Klick mich - Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin" Doch gerade das offensive Spiel mit Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit nehmen viele Piraten der 26-Jährigen übel: Sie sei eine "Selbstdarstellerin" und "nicht kritikfähig" heißt es auf ihrer Kandidatenseite.
Aber auch einige politisch zweifelhafte Personalien finden sich auf der Kandidatenliste. So ist ein niedersächsischer Pirat dabei, der jüngst mit der Forderung provozierte, Holocaustleugnung zu "entkriminalisieren" und ein 60-Jähriger, der auf seinem You-Tube-Kanal von einer Verschwörung des "Weltjudentums" schwadroniert. Dass sie gewählt werden, ist jedoch ziemlich unwahrscheinlich. Das zeigen die kritischen Fragen auf ihren Kandidatenseiten.
An chancenlosen Kandidaten fehlt es nicht auf der Liste. Viele der Bewerber sind erst vor kurzem in die Partei eingetreten - und machen den Mangel an Erfahrung locker mit Selbstbewusstsein wett: "Ich bin Pirat seit der Berliner Wahl - seit ich in der Partei bin, geht's stetig bergauf", heißt es da sinngemäß oder auch: "Wir brauchen neben den Themen auch Gesichter. Und zwar Gesichter, mit denen sich die Wählerinnen und Wähler identifizieren können. Ich denke, ich kann so ein Gesicht und eine solche Stimme sein."
Dabei ist so ein Vorstandsamt nichts, was man mal eben nebenbei erledigen kann: Mitgliederboom, Einzug in zwei Länderparlamente, dazu ständig neue Landtagswahlkämpfe - es gibt viel zu tun. Erst recht, da sich auch das Programm der Piraten noch in der Entwicklung befindet. "Natürlich hat man einen ganz anderen Zeitplan als Vorstand einer Zwei-Prozent-Partei, als als Vorstand einer Zwölf-Prozent-Partei", sagt Marina Weisband über die gestiegene Belastung. Das alles von einem ehrenamtlichen Vorstand managen zu lassen sei "sicher nicht ewig haltbar."
Zum jetzigen Zeitpunkt stünde aber eine Bezahlung der Parteichefs nicht zur Debatte, sagt Sebastian Nerz: "Wir haben schlicht nicht das Geld um die Vorstände zu bezahlen. Wir können ihnen nicht einmal Verdienstausfälle komplett ersetzen." Wichtiger sei es zunächst, bezahlte Stellen in der Verwaltung und im IT-Bereich zu schaffen. Bisher bekommen bei der Piratenpartei nur die Pressesprecherin und die Leiterin der Bundesgeschäftsstelle Geld, allerdings auch nur 800 beziehungsweise 400 Euro.
Und auch in zwischenmenschlicher Hinsicht muss ein Piratenvorstand ziemlich robust sein, wenn er nicht zwischen Medien, anderen einflussreichen Piraten und Basis aufgerieben werden will. Vorstände in der Piratenpartei sollen eigentlich die Entscheidungen der Partei nur verwalten und keinesfalls selbst die politische Richtung vorgeben. So antwortete der Vorsitzende Sebastian Nerz allzu oft auf Journalistenfragen mit einem parteipolitisch korrekten: "Dazu haben wir als Partei noch keinen Standpunkt", und musste sich vor allem von den Medien, aber auch von einzelnen Parteimitgliedern vorwerfen lassen, er transportiere Inhaltsleere.
Sagte er dann doch einmal seine eigene Meinung, war es auch nicht recht: Einmal ließ er sich zum Beispiel dazu hinreißen, einem Journalisten seine persönliche Traumkoalition zu verraten (Grün-Gelb-Orange) - und kassierte haufenweise kritische Kommentare. Auch zwischen ihm und dem einflussreichen Berliner Landesverband soll es häufiger gekracht haben - Nerz verbat sich Angriffe auf seine Person, die Berliner reagierten empört, und nun forderte der Abgeordnete Christopher Lauer gar öffentlich die Abwahl des Vorsitzenden. Der Grund: Nerz habe Wahlversprechen nicht eingehalten.
Wer die Vorgeschichte der beiden kennt, sieht die harsche Kritik jedoch in einem anderen Licht: Beim letzten Parteitag trat der eloquente, medienaffine Lauer gegen den eher nüchtern und sachlich auftretenden Nerz an. Er verlor.