Bulgarien:Gemeinsam gegen die Mafia

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Flaggen in Sofia: Demonstranten protestierten den fünften Abend in Folge gegen Ministerpräsident Borissow. (Foto: Valentina Petrova/dpa)

Tausende protestieren erneut gegen Korruption in der Regierung.

Von Tobias Zick, München

Die Proteste gegen die Regierung in Bulgarien reißen nicht ab. Wie schon an den vier Tagen zuvor versammelten sich am Montagabend Tausende im Zentrum der Hauptstadt Sofia sowie in den Städten Warna, Burgas und Plovdiv, um den Rücktritt von Premierminister Boiko Borissow zu fordern. Die Demonstranten trugen Banner mit Slogans "EU, bist du blind?"

Die Proteste, die sich im Wesentlichen gegen Verstrickungen von Politik und Justiz wenden, sind die größten in dem Land seit 2014. Der Oppositionsführer und Ex-Justizminister Hristo Iwanow sagte dem staatlichen Fernsehen, Borissow habe "keinen Bezug mehr zur Realität. Es ist Zeit für ihn, eine Pause zu machen. Wir brauchen vorgezogene Wahlen."

Staatspräsident Rumen Radev schloss sich den Forderungen an

Den Zündfunken für die derzeitige Protestwelle hatte Iwanow vergangene Woche mit einer Aktion geschlagen: Begleitet von einer Filmkamera hatte er sich zu Fuß der Villa eines Unternehmers und Politikers an der Schwarzmeerküste genähert und währenddessen erklärt, das Gebäude mit seinem privaten Strandzugang sei illegal. Auf dem öffentlichen Strand griffen ihn zivil gekleidete Sicherheitsleute auf und vertrieben ihn; kurz darauf kam ein uniformierter Polizist hinzu, um Iwanows Ausweis zu kontrollieren. Nachdem das Video im Internet verbreitet wurde, versuchten Hunderte Protestierende zu dem öffentlichen Strandabschnitt nahe der Villa zu gelangen, sie wurden jedoch von der Polizei ferngehalten. Aus Iwanows Sicht ein weiterer Beleg für die allzu fließenden Grenzen zwischen Geld, Politik und Staatsgewalt in seinem Land.

Am Samstag schloss sich Staatspräsident Rumen Radev den Forderungen der Demonstranten an und lobte den "Anti-Mafia-Konsens", der sich da in der Gesellschaft formiere. Der Zorn der Menschen über Lügen und jahrelange Korruption habe bereits "zwei Millionen Bulgaren ins Ausland getrieben", sagt Radev in einer Fernsehansprache. Die Proteste nannte er einen "Kampf für unsere Würde, für unsere Kinder, für unsere Zukunft" sowie für ein "gerechtes, modernes, europäisches Bulgarien". Zwei Tage zuvor hatten Ermittler das Büro des Präsidenten durchsucht; bei der Razzia wurden ein Sekretär und ein Berater Radevs festgenommen.

Aus Sicht der Regierungskritiker wurde der Präsident zum Ziel der Razzia, weil er sich wiederholt regierungskritisch geäußert hatte. Generalstaatsanwalt Iwan Geschew wies den Vorwurf zurück und warf dem Präsidenten vor, offenkundig "verwirrt" zu sein: "Wir koordinieren unser Vorgehen nicht mit Aussagen von Politikern."

Die Proteste auf den Straßen von Sofia richteten sich in den vergangenen Tagen zunehmend auch gegen Polizeigewalt. Auf sozialen Medien machte etwa ein Video eines Jurastudenten namens Evgeni Marchev die Runde, der von Uniformierten verprügelt wurde. Das Innenministerium wies die Vorwürfe unrechtmäßigen Verhaltens durch die Sicherheitskräfte zurück, und Generalstaatsanwalt Geschew, der selbst im Zentrum der Rücktrittsforderungen steht, bekräftigte auf Twitter, er stehe hinter allen Aktionen der Polizei. Die Proteste seien "bezahlt" durch den im Exil lebenden Oligarchen Vassil Boschkow.

Premier Borissow wies seinerseits die Rücktrittsforderungen der Demonstranten zurück. Er werde aus Verantwortung an der Regierung bleiben, erklärte er am Wochenende, schließlich stünden dem Land aufgrund der Corona-Krise "schreckliche Monate und Jahre" bevor.

Die Europäische Volkspartei (EVP), der Borissow angehört, hat nach dem Ausbruch der Proteste vergangene Woche ihre Unterstützung für dessen Regierung und deren "Kampf gegen die Korruption" bekräftigt. Gegenwind bekommt der Premier allerdings von einem anderen wichtigen Verbündeten, nämlich dem Nato-Partner USA: "Jede Nation verdient ein Justizsystem, das unparteiisch und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet ist", erklärte die US-Botschaft in Sofia in einem Statement am Montag, ohne die Namen Borissow oder Geschew dabei direkt zu nennen. "Wir unterstützen das bulgarische Volk", heißt es weiter, "in eurem friedlichen Eintreten für größeres Vertrauen in euer demokratisches System".

© SZ vom 15.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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