Bürgerschaftswahl in Bremen:Überlebenskünstler im Norden

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Manches ändert sich in Bremen nie: Die SPD regiert seit 65 Jahren. Die Kommune ist arm, die Arbeitslosigkeit hoch. Doch bei der Landtagswahl könnte sich einiges verschieben.

Jens Schneider

Am liebsten würde der Bremer Wirtschaftssenator auf der Bühne hinter der Weser große Bilder aufstellen. Aber Martin Günthner kann sich darauf verlassen, dass die Zuhörer noch genau wissen, wie es vor sechs Jahren war, "als dies der größte Parkplatz in Norddeutschland war." Es war trostlos. Was sollte die Windkraft bringen? Und dazu Tourismus, hier? Dann zählt der Senator stolz auf, wie die Stadt blüht rund um das 2009 eröffnete "Klimahaus", das mit seiner kühnen Architektur und feinen wissenschaftlichen Ausstellungen so viele Besucher anzieht. Der Sozialdemokrat schwärmt vom Boom der Windenergie, die 4500 neue Arbeitsplätze in die totgesagte Stadt gebracht hat.

Problem-Stadtstaat Bremen
:Land der roten Laternen

Verschuldung, schlechte Pisa-Noten, Einbrüche - Bremen führt im Bundesvergleich viele Negativ-Statistiken an. Nun wird am Sonntag wieder gewählt. Welche politischen Baustellen die künftige Bremer Regierung erwartet.

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Die SPD feiert ihr Finale im Bremer Landtagswahlkampf, zum letzten großen Auftritt vor dem Wahlsonntag sind ihre Spitzen nach Bremerhaven gekommen. Die Hafenstadt wird seit Jahren mit vielen Superlativen der Düsternis verbunden. Die Arbeitslosigkeit liegt mit mehr als 16 Prozent doppelt so hoch wie im Bundesschnitt, "wie im Osten", sagen sie in der Stadt. Hier geht es dem Stadtstaat Bremen besonders schlecht. In den Problemquartieren gibt es Straßenzüge, in denen kaum noch Familien selbst für ihren Unterhalt aufkommen.

Auf der Bühne am Hafenbecken stehen neben dem Wirtschaftssenator Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen und der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel, alle preisen den Aufschwung in der einst totgesagten Stadt. Gabriel klingt beinahe hymnisch, Böhrnsen ist im Ton zurückhaltender, aber Stolz strahlt auch er aus. Und von den Zuschauern kommt warmer Applaus, so wie bei fast jedem Auftritt des sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Böhrnsen. Dieser Mann der leisen Töne wird stets mit Sympathie empfangen. Umfragen zufolge wollen ihn 70 Prozent der Bremer als Bürgermeister, und nicht nur seine weit abgeschlagene Herausforderin Rita Mohr-Lüllmann von der CDU fragt sich ratlos, wie das alles kommen kann: Seit 65 Jahren regiert die SPD im Bremer Rathaus, das Land gilt bundesweit als abgehängt, es lag zwei Mal hinten bei PISA, aber die Mehrheit will wieder SPD wählen. Zwar werden auch in Bremen Gewinne für die Grünen erwartet, aber am Ende wird mit einer Fortsetzung der rot-grünen Koalition unter Böhrnsen gerechnet.

Als Böhrnsen 2005 sein Amt vom grandios populären Henning Scherf übernahm, da waren sogar viele Sozialdemokraten skeptisch. Er galt als fad, als Bürokrat. Doch er überraschte mit seiner besonnenen Art, und die Wende brachte der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler. Als Präsident des Bundesrats musste Böhrnsen damals die Lücke füllen, und das machte er mit einem so feinen Händchen, dass er bis heute wie ein idealer Bundespräsident erscheint, wie sie in Bremen voller Stolz erzählen.

Böhrnsen erinnert die Bremer im Wahlkampf oft daran, dass es ihrem Land doch sehr gut gehe. "Wir sind ein wirtschaftlich starkes Land", sagt er und zählt die vielen Arbeitsplätze in der Industrie auf. Im Bremer Werk von Mercedes, das ist eine seiner Lieblingsgeschichten, werden in diesem Jahr so viele Autos gebaut wie nie zuvor. "Natürlich haben wir auch Probleme, aber ich rede ganz anders über Bremen", sagt er und wirft der Opposition vor, die schöne Stadt schlecht zu reden.

Tatsächlich ist Bremen ein reiches und ein armes Land zugleich. Die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert erinnert gern daran, dass in ihrem hoch verschuldeten Land, das ohne Hilfe von den Geber-Ländern nie über die Runden käme, jedes dritte Kind in Armut lebt und zugleich das zweitgrößte Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Deutschland erwirtschaftet wird. Die Finanzlage der Stadt wäre besser, wenn ihr die Steuern der vielen Pendler zugutekämen, die hier arbeiten und in Niedersachsen wohnen.

Dabei gibt es viel Geld in Bremen, nur ist das privates Geld. Und wer wegen der PISA-Ergebnisse Angst vor schlechten Schulen hat,so wird erzählt, der schickt seine Kinder, wenn er kann, auf Privatschulen oder gleich nach Niedersachsen. Auch so kann man sich einrichten.

Negative Superlative? Das kann den Bürgermeister Bremens nicht so recht treffen. (Foto: dapd)

Und es gibt in diesem Land ständig Versuche, etwas neu anzufangen. Bei dieser Wahl dürfen erstmals in Deutschland Jugendliche ab 16 Jahre wählen, und damit die Jugend die Chance nicht verpasst, machen die Politiker eine Menge Wind an den Schulen. Mit ihrem Aufruf hat die Stadt erreicht, dass sich am Sonntag 500 Schüler als Wahlhelfer engagieren werden.

Manchmal finden die zwei Teile der armen und reichen Stadt aber auch zueinander. In der Seestadt Bremerhaven glaubten viele noch vor zehn Jahren nicht mehr an die eigene Zukunft. Die Werften hatten dicht gemacht, die US-Streitkräfte waren gegangen. Eine Zeit lang war fast jeder Vierte arbeitslos. Jetzt boomt der Hafen, auch die Wissenschaft mit vielen Studenten, die schönen Bauten an der Seeseite haben der Stadt ein neues Gesicht gegeben. "Die Bremerhavener stehen erstaunt vor den Touristenströmen in ihrer Stadt." So erlebt es der Intendant des Stadttheaters, Ulrich Mokrusch, der vor einem Jahr aus Bielefeld kam und noch ein wenig von außen blickt. "Sie fangen an, ihre eigene Stadt zu lieben."

Mokrusch kann gerade gegen den Trend ein neues Jugendtheater gründen. Es wird im Oktober in Lehe eröffnet, einem armen Stadtteil. "Das geht vollkommen gegen die bundesweite Entwicklung, anderswo werden Jugendtheater geschlossen", sagt er. "Wir schaffen das nur, weil eine Allianz aus Wirtschaft und engagierten Bürgern zwei Drittel des Geldes für dieses Theater aufbringen." Es ist eine Geschichte, die zu Jens Böhrnsen und seinem Gefühl für das Land passt.

© SZ vom 21.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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