Brandenburg:Großes Palaver ungleicher Partner

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In Potsdam ringen SPD, CDU und Grüne um eine Koalition und harte Kompromisse.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Positionsbestimmung in Potsdam: Dietmar Woidke (SPD) mit seinen Gesprächspartnern Michael Stübgen (CDU, li.) und Ursula Nonnemacher. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Für alle, die Brandenburg regieren wollen, hält die Verfassung eine Besonderheit parat: Grob gesagt muss vier Monate nach einer Wahl der neue Ministerpräsident gewählt sein. Ansonsten geht es von vorne los, die Vorschriften verlangen für diesen Fall Neuwahlen. In Potsdam war es in der Vergangenheit fast schon ein Sport, diese Spanne zu unterbieten: Die erste Landesregierung stand bereits zwei Wochen nach der Wahl, am längsten dauerte es 2014 - einen Monat und drei Wochen.

Am Ende wollen CDU und Grüne ihre Mitglieder befragen

An diesem Montag treffen sich die Unterhändler von SPD, CDU und Grünen zur nächsten Runde ihrer Koalitionsgespräche. Die Brandenburger haben am 1. September gewählt, und klappt nun alles wie geplant, wird der alte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am 27. November auch zum neuen Regierungschef ernannt - nach knapp drei Monaten. Gemessen an früher scheinen die Gespräche geradezu zäh zu verlaufen. Gemessen an der komplexen Lage nach der Wahl aber ist dieser Terminplan fast rekordverdächtig.

Als Gewinner sind AfD und Grüne aus der Wahl hervorgegangen, stärkste Partei wurde trotz massiver Verluste knapp die SPD. CDU und Linke brachen regelrecht ein. Da keine der anderen Parteien mit der großteils extrem rechten AfD im Land zusammenarbeiten wollte, blieb nur eine Dreierkoalition, über die SPD, CDU und Grüne gerade verhandeln. Doch bevor es so weit kommen konnte, musste die Landes-CDU erst ihre gesamte Führung auswechseln. Die bestand hauptsächlich aus Ingo Senftleben, Spitzenkandidat, Partei- und Fraktionschef in Personalunion. Er wurde vom rechtskonservativen CDU-Flügel zum Rücktritt gedrängt.

Jan Redmann, der neue Vorsitzende der CDU-Fraktion, spricht nun fast begeistert von den Verhandlungen: Der Umgang sei völlig anders als nach früheren Wahlen. Diesmal würden die einzelnen Themen von der Inneren Sicherheit bis zum Umweltschutz im Detail ausgearbeitet. Was die Zusammenarbeit angehe, "schauen wir eher auf Kiel als auf Magdeburg", sagt Redmann. In beiden Landeshauptstädten regieren Koalitionen aus CDU, Grünen und einem dritten Partner. In Kiel eher miteinander, in Magdeburg eher gegeneinander.

Vom kooperativen Geist der Gespräche in Potsdam berichten auch Vertreter von SPD und Grünen. Fast 100 Abgesandte verhandeln in sieben Expertengruppen. Deren Ergebnisse werden dann, beginnend an diesem Montag, in der Runde der Hauptverhandler abgesegnet. Jede Partei schickt dieselbe Anzahl von Vertretern in die Gruppen, auch wenn die Stimmenprozente von 26 (SPD) über 15 (CDU) bis 11 (Grüne) reichen. Manchmal wird das Machtgefälle jedoch sichtbar, etwa wenn der bisherige SPD-Innenminister, Karl-Heinz Schröter, in der Gruppe Innere Sicherheit versucht, den Vertreter der Grünen zu maßregeln.

Das aufwendige Verfahren hat auch einen praktischen Grund: Bei etlichen Themen wie Braunkohletagebau, Wirtschaftsförderung oder Bau von Abschiebegefängnissen werden die ungleichen Partner teils harte Kompromisse eingehen müssen. Je mehr Parteienvertreter eingebunden sind, desto breiter wird die Zustimmung sein. Denn die Grünen wollen ihre Basis in einer Urwahl über den Koalitionsvertrag abstimmen lassen, die CDU plant eine Mitgliederbefragung. Die ist dann zwar nicht bindend, aber "am Votum der Basis kommt kein Parteitag vorbei", sagt Redmann.

Damit sich dennoch jeder der Partner profilieren kann, plädiert Redmann dafür, Ministerinnen und Ministern größtmöglichen Handlungsspielraum zu geben: "Wir sind dafür, dass jede Partei in ihren Ressorts etwas mehr Beinfreiheit bekommt." Und dann ist da noch das Problem mit dem Bundesrat. Ist eine Koalition uneins, enthält sich eine Regierung in der Regel bei Abstimmungen in der Länderkammer. Um das zu verhindern, studieren die Verhandler gar die Verträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957, des Vorläufers der EU: Darin wurde eine Ausnahme vom Prinzip der Einstimmigkeit vereinbart.

© SZ vom 07.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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