Bolivien:Explosiv wie Dynamit

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Der Präsident schickt Minenarbeiter in die Schlacht gegen Menschen, die wie diese gegen ihn demonstrieren. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Die zweifelhafte Wiederwahl von Evo Morales droht das ärmste Land Lateinamerikas zu zerreißen.

Von Sebastian Schoepp, München

Die Straßen von La Paz erzittern, wenn die Minenarbeiter kommen. Sie marschieren, werfen Dynamitstangen in die Luft, tragen ihre Helme, an die sie kleine bolivianische Fahnen geheftet haben. Sie machen klar, dass sie zum Äußersten bereit sind. Seit Tagen ist Boliviens Parlamentssitz in den Anden Schauplatz wütender Straßenkämpfe. Es geht um nichts Geringeres als die Demokratie in dem ärmsten südamerikanischen Land. Präsident Evo Morales klammert sich an die Macht; er behauptet, die vierten Präsidentschaftswahlen in Folge am 20. Oktober gewonnen zu haben, doch die Opposition wirft ihm Wahlbetrug vor. Beide Seiten machen mobil, Morales schickt die Minenarbeiter ins Schlachtfeld, dort treffen sie auf Studenten, indigene Gruppen und Oppositionsanhänger, doch die Grenzen in diesem Konflikt, der Bolivien zu zerbrechen droht, sind fließend.

Der Präsident redet von Putsch, die Opposition von Betrug, und auf den Straßen fließt Blut

Drei Menschen sind den Gewaltausbrüchen der letzten Wochen zum Opfer gefallen, Hunderte wurden bei Straßenschlachten verletzt. Morales selbst musste vor wütenden Gegnern und auch früheren Anhängern in Sicherheit gebracht werden, die ihm Verrat und Verfassungsbruch vorwerfen. Rathäuser und Sitze der Wahlbehörde wurden in Brand gesteckt. Aber seine Unterstützer sind nach wie vor zahlreich, gerade in den Armenvierteln oberhalb von La Paz. In El Alto rechnen sie es dem ersten indigenen Präsidenten immer noch hoch an, dass er eine Sozialversicherung für sie eingeführt und sie so an den Erlösen aus Gas und Ölverkauf beteiligt hat. "Evo, du bist nicht allein", skandierten Demonstranten, die den Flughafen von El Alto, den höchstgelegenen der Welt auf mehr als 4000 Metern, blockierten.

Morales gegenüber steht der frühere Präsident Carlos Mesa, ein Vertreter der weißen Oberschicht, der sagt, er habe am 20. Oktober genug Stimmen für eine Stichwahl erreicht. Dazu kommen die sogenannten Bürgerkomitees aus dem Tiefland, es sind die Erzfeinde von Morales, die Wirtschaftsmetropole Santa Cruz ist ihre Hochburg. Der Sprecher der einflussreichen comités cívicos, Luis Fernando Camacho, will Morales am Montag ein Schreiben aushändigen, das seinen Rücktritt fordert. "Es wird eine definitive Aktion", kündigte Camacho an.

Vizepräsident Álvaro García Linera, getreuer Weggefährte von Morales, hat bereits klar gemacht, dass der Präsident dieser Aufforderung nicht nachkommen werde, er habe ja die Wahlen gewonnen. Morales spricht von einem Putschversuch, der Amtssitz Palacio Quemado in La Paz, oft umkämpft in der konfliktreichen Geschichte des Landes, ähnelt einer Festung. Mittendrin zwischen den Fronten stehen die Vertreter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die nun feststellen sollen, ob bei den Wahlen alles mit rechten Dingen zuging. Die OAS hatte bereits kurz nach der Auszählung Bedenken angemeldet an dem von der Regierung gemeldeten Ergebnis. Jetzt zeigte sie sich besorgt über die massive Menge an Falschinformationen, die in Bolivien im Umlauf seien, lanciert von Regierung und Opposition und stets mit dem Ziel, den Gegner schlechtzumachen.

Morales selbst hat der Untersuchung der OAS zugestimmt - das macht sie in den Augen der Opposition schon unglaubwürdig, obwohl die Mission von einem Dutzend Ländern unterstützt wird, links wie rechts regierten, darunter Spanien, aber auch Opponenten wie Brasilien und Venezuela. OAS-Generalsekretär Luis Almagro versprach, die Prüfung werde mit größter "technischer, juristischer und politischer Genauigkeit" durchgeführt. Die Ergebnisse sollen kommende Woche veröffentlicht werden, Morales versprach, sie zu akzeptieren.

Augenzeugen berichten von einer Lähmung des öffentlichen Lebens. Der Deutsche Manuel Moosmayer, der seit August in einem Straßenkinder-Projekt in Santa Cruz arbeitet, schildert eine beklemmende Atmosphäre. "Anders als in Deutschland ist hier Demokratie keine Selbstverständlichkeit, hart erkämpft, und hat eine große Bedeutung für die Bevölkerung. Demokratie bedeutet hier Hoffnung für eine bessere Zukunft."

© SZ vom 09.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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