Bohrinsel-Beseitigung:Zwischen die Rümpfe, und dann weg

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Ein riesiger Katamaran wird die Plattform "Brent Delta" nach England schleppen. Shell hat auf See viel Geld verdient und will jetzt nicht allzu viel für die Stilllegung ausgeben.

Von Björn Finke

Der Katamaran ist so lang wie fünf Jumbojets. Im Sommer, vielleicht sogar schon im Mai, wird dieses Schiff den Nordatlantik ansteuern. Die Pioneering Spirit, zu deutsch: Pioniergeist, fährt zur Ölplattform Brent Delta, 186 Kilometer nordöstlich der Shetland Inseln gelegen, mehr als 24 000 Tonnen schwer. Der Katamaran nimmt dann die Plattform zwischen seine beiden Rümpfe, hebt sie aus der Verankerung und transportiert sie zum Abwracken nach Nordengland.

Brent Delta ist eine von vier Plattformen des Öl- und Gasfelds Brent. Das liefert seit 1976 Öl, insgesamt stammt ein Zehntel der britischen Förderung aus diesem Feld, das den Konzernen Royal Dutch Shell und Exxon-Mobil gemeinsam gehört und von Shell betrieben wird. Die Quellen gaben der Nordsee-Ölsorte den Namen. Doch die Reserven gehen nun zur Neige, Shell will das Feld stilllegen. Lediglich eine der vier Plattformen - Brent Charlie - fördert weiterhin Öl, und auch dort soll in wenigen Jahren Schluss sein.

Der spektakuläre Abtransport von Brent Delta ist also der Anfang vom Ende für das Feld. Es abzuwickeln kostet Milliarden. Demnächst werden Konzerne noch viele weitere Nordsee-Felder stilllegen - Europas Ölbranche steht vor teuren und schwierigen Jahren. Beim Brent-Feld muss Shell am Ende 154 Quellen versiegelt haben und neben den vier Plattformen einen guten Teil des 103 Kilometer langen Pipeline-Netzes bergen. Die Firma würde aber gern nicht nur einige Kilometer Pipeline, sondern auch Teile der Plattformen selbst im stürmischen Nordatlantik zurücklassen. Drei der Plattformen stehen nicht auf Beinen aus Stahl, sondern aus Beton. Jedes Betonbein wiegt so viel wie das Empire State Building. Ihr Abbau wäre gefährlich, sehr teuer und könnte die Umwelt schädigen, argumentiert Shell. Darum solle man das lieber nicht tun.

382 Meter lang, 124 Meter breit: die Pioneering Spirit, das größte Arbeitsschiff der Welt. (Foto: Bram van de Biezen/ANP Photo)

Außerdem will das britisch-niederländische Unternehmen Trümmer von den Bohrungen sowie 64 Öltanks aus Beton am Meeresgrund zurücklassen. Sie bilden das Fundament der Betonbeine. Der Konzern reichte seine Pläne nun bei der Regierung in London ein. Umweltschützer protestierten. Lang Banks, Chef des World Wildlife Fund (WWF) in Schottland, sagte, es könne zwar vernünftig sein, die Betonbeine nicht anzurühren. Aber die Tanks und die Trümmer müssten geborgen werden; sie könnten andernfalls den Ozean verschmutzen. Der Abbau des Brent-Felds sollte "den höchstmöglichen Standard für die übrige Branche" setzen, sagte er.

So oder so ist das Projekt ein Testfall: Sollte Shell tatsächlich Tanks und Pfeiler zurücklassen dürfen, wird das wohl auch für die Rivalen gelten, die in den kommenden Jahren viele Quellen stilllegen müssen. Im Jahr 1975 floss erstmals Nordsee-Öl über eine Pipeline ans Festland. Schon 1999 erreichte die Produktion ihren Höhepunkt. Seitdem geht es bergab. Die alten Quellen liefern immer weniger, und die wenigen neuen können dieses Minus nicht ausgleichen. Das Ölzeitalter in der Region geht unausweichlich zu Ende.

Unternehmen wie Shell, die über vier Jahrzehnte viel Geld in der Nordsee verdient haben, müssen nun viel Geld in die Abwicklung der Felder stecken. Allein in der britischen Nordsee gibt es 470 Plattformen oder Anlagen auf dem Meeresgrund - plus 10 000 Kilometer Pipelines. 5000 Quellen sind zu versiegeln. Die Unternehmensberater von Wood Mackenzie aus Edinburgh schätzen, dass die Stilllegungen 70 Milliarden Euro kosten werden. Sieben Milliarden haben die Firmen bereits ausgegeben, in den kommenden fünf Jahren fallen weitere 13 Milliarden an. Insgesamt wird es gut vier Jahrzehnte dauern, bis alle Felder abgewickelt sind.

(Foto: se2_nordsee)

Wie die Quellen stillzulegen sind, regelt ein internationaler Vertrag namens Ospar. Der trat 1998 in Kraft und folgt dem Grundsatz, dass Unternehmen nichts auf See zurücklassen dürfen. Allerdings sind Ausnahmen möglich. Shell hofft, dass die britische Regierung eine solche Ausnahme gewährt und bei der Ospar-Kommission in London anmeldet. Dann könnten die Betonbeine und auch die Tanks bleiben. Umweltschützer und andere Initiativen können nun zwei Monate lang Stellungnahmen zu Shells Plänen einreichen. Danach will das Wirtschaftsministerium entscheiden. Es wird erwartet, dass die konservative Regierung das Ansinnen der Firma unterstützt.

Das grundsätzliche Verbot, Bauten zu versenken oder am Meeresgrund zu lassen, ist auch eine Antwort auf den Brent-Spar-Skandal. 1995 wollte Shell eine nicht mehr genutzte Öllager-Plattform des Brent-Feldes, eben die Brent Spar, in tiefen Gewässern westlich von Schottland versenken. Die Naturschützer von Greenpeace besetzten die Plattform daraufhin und riefen zum Boykott von Shell auf.

Im Konzernvorstand sagen sie nicht, man solle die Steuerzahler schonen - sondern "die Wähler"

Die Gruppe behauptete, die Tanks enthielten noch 5500 Tonnen Öl, die den Ozean verschmutzen könnten. Das war falsch; Greenpeace entschuldigte sich später für diese Lüge. Doch in Deutschland folgten viele Autofahrer dem Boykottaufruf, es gab sogar Brandanschläge auf Shell-Tankstellen. Die damalige Umweltministerin Angela Merkel und Kanzler Helmut Kohl sprachen sich ebenfalls gegen Shells Pläne aus. Das Management lenkte schließlich ein und ließ die Plattform nach Norwegen schleppen, zum Ausweiden an Land.

DIe Bohrinsel Brent Delta. (Foto: Ross Johnston/dpa)

Die Frage, ob die Betonpfeiler der Brent-Plattformen auf See bleiben dürfen, ist nicht nur wichtig für Shell und andere Ölkonzerne, sondern auch für den britischen Schatzkanzler. Denn die Unternehmen können sich einen Teil der Ausgaben für die Abwicklung vom Fiskus zurückholen: Sie verrechnen diese Summen mit ihrer Steuerlast. Die Berater von Wood Mackenzie schätzen, dass der Staat auf diese Weise fast die Hälfte der Kosten tragen wird. Das ist ein starker Anreiz für die britische Regierung, Shell von der Pflicht zu befreien, die Betonbeine an Land zu schaffen. Denn müsste die Firma das tun, würde die Stilllegung noch viel teurer. Simon Henry, Shells Finanzvorstand, verlangt eine "vernünftige Diskussion über die Kosten". Es sei falsch, Geld unnötig auszugeben, nur um Prinzipien zu genügen. Schließlich übernehme der Finanzminister einen großen Teil der Kosten, sagt er, "und das heißt, dass Wähler dafür aufkommen müssen".

Bei Appellen an die Regierung kann ein Hinweis auf Wählerstimmen nie schaden.

© SZ vom 13.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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