Der Weg zum Bodensee führt in diesen Tagen durch ein Meer leuchtend roter Äpfel. Die reifen Früchte hängen an Tausenden schmalen Bäumchen, die dicht gepflanzt in ordentlichen Reihen die Straßen des Nordufers säumen. Der Bodenseekreis und seine Umgebung sind eines der wichtigsten Obstanbaugebiete Deutschlands: Jeder vierte heimische Apfel kommt von hier. Doch während die Ernte in vollem Gange ist, befürchten nicht wenige Obstbauern, dass ihnen bald die letzte Anbausaison bevorsteht. Die Landwirte sehen ihre geschäftliche Existenz durch das Artenschutz-Volksbegehren "Rettet die Bienen!" akut gefährdet. Weil die Initiatoren sechs Monate Zeit haben, zehn Prozent Unterstützung zusammenzubekommen, ist der Erfolg des Begehrens sehr wahrscheinlich.
Die Stimmung ist so aufgeheizt, dass die Firma Vaude, ein bekanntes Unternehmen für Outdoorbekleidung mit Sitz im Bodenseekreis, kürzlich entschieden hat, sich aus dem offiziellen Unterstützerkreis zurückzuziehen. Die Firma ist in der Gegend so hoch angesehen, dass Obstbauern das Vaude-Logo auf dem Volksbegehren wie einen Verrat empfanden und einzelne sogar Vaude-Produkte verbrannten.
Unternehmensleiterin Antje von Dewitz, 47, hat sich schon vor Jahren der Gemeinwohlökonomie verschrieben und in ihrem eigenen Verantwortungsbereich viele Veränderungen durchgesetzt, die unter anderem mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis und dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg gewürdigt wurden: Geringere Umweltbelastungen und soziale Verbesserungen bei der Textilproduktion in Asien zum Beispiel, eine klimaneutrale Firmenzentrale in Tettnang bei Friedrichshafen. Die Ziele des Volksbegehrens hält von Dewitz nach wie vor für sinnvoll - nach ausführlichen Gesprächen will sie den Landwirten aber auch nicht absprechen, dass ihre Ängst berechtigt sind. "Wir möchten als Unternehmen in unserem Einsatz für mehr Natur- und Artenschutz nicht auf den Gesetzestext zum Volksbegehren reduziert werden", hat von Dewitz auf ihrer Homepage posten lassen. "Ja, es ist wichtig, dass Veränderungen in der Landwirtschaft eingeleitet werden. Diese müssen aber gut durch die Landesregierung begleitet werden."
Martina Biegger ist eine der jungen Obstbäuerinnen vom Bodensee, die ihre Mitbürger auf großen Plakaten auf ihren Feldern darum bitten, das Volksbegehren nicht zu unterschreiben. Mit 28 Hektar Anbaufläche ist ihr Betrieb recht typisch für die familiär geprägte landwirtschaftliche Struktur am Bodensee. Biegger stört sich am geplanten Pestizidverbot: Die Initiative Pro Biene will - anders als beim bayerischen Volksbegehren - ein Verbot von Pflanzenschutzmitteln auf allen landwirtschaftlichen Flächen durchsetzen, wenn sich diese in einem Schutzgebiet befinden. Es soll zwar Ausnahmen geben, aber der Gesetzentwurf lässt völlig offen, wo welche Mittel zugelassen werden könnten. Beim Start der Unterschriftensammlung vor einer Woche sagten die Initiatoren, die unter anderem vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und den Bio-Anbauverbänden Demeter und Naturland unterstützt werden, bei diesem Punkt erhoffe man sich "ein gutes Begleitgesetz" von der Landesregierung - eventuell könne man sich ja an den europäischen Richtlinien für den Ökolandbau orientieren.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat schon angekündigt, dass er das Pestizidverbot in dieser Form verhindern will, auch wenn er durchaus für mehr Artenschutz sei. Selbst Ökobauern aus der Grünen-Fraktion sehen den entsprechenden Paragrafen kritisch, nach dem Motto: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Nun will sich die Landesregierung bemühen, ihn in einem Ausführungsgesetz "praxistauglich" zu gestalten - alternativ könnte sie einen Gegenentwurf vorlegen.
Sollte sie bald nicht mehr spritzen dürfen, sagt Biegger, müsse sie den Obstbau aufgeben. "Ohne Pflanzenschutz geht's nicht." Fast drei Viertel ihrer Anlagen liegen im Landschaftsschutzgebiet. Mit ihrem Mann leitet Biegger einen Betrieb für Apfel- und Hopfenanbau bei Meckenbeuren - in neunter Generation. Dass sie den Hof von ihren Eltern übernimmt, war für die heute 32-Jährige nicht immer klar. Sie hat erst Maschinenbau studiert und in der Industrie gearbeitet, bevor sie sich ganz bewusst entschied, zur Landwirtschaft zu wechseln. Ein Entschluss, der mit Risiken verbunden ist. Die Bieggers haben kräftig in ihre Plantagen investiert - im Vertrauen darauf, dass sich ihre Geschäftsgrundlage nicht völlig ändern würde.
Selbst Biobauern kommen gegen den Schorfpilz nicht ohne Pflanzenschutz aus
Martina Biegger und ihr Mann arbeiten konventionell-integriert: "Wir wirtschaften nach dem Schadschwellenprinzip: Erst wenn es nicht anders geht, wird Pflanzenschutz eingesetzt. Und nur so viel wie unbedingt notwendig." Die Mittel wirkten extrem selektiv, wie Martina Biegger am Beispiel der Gemeinen Spinnmilbe schildert: "Wenn ich gegen die Milbe spritze, da lacht mich die Blattlaus aus." Und gegen Pilze, die einen dicken Schorf auf der Schale von Äpfeln verursachen, gebe es nun mal keine natürlichen Gegner. "Das ist genauso lästig wie Fußpilz. Da brauchst du auch eine Creme." Selbst Biobauern kommen gegen den Schorfpilz nicht ohne Pflanzenschutz aus - sie verwenden dafür eine Kupfer- und Schwefellösung, die deutlich häufiger aufgebracht werden muss als die synthetischen Fungizide. Einige Öko-Landwirte befürchten nun, dass sie die Menge nach dem Volksbegehren begrenzen müssen.
Auf ihrem Mobiltelefon kann Martina Biegger auf ein Programm zugreifen, in dem sie genau dokumentiert, welche Parzelle sie auf welche Art behandelt hat - und wie dabei die Windverhältnisse waren. Sie muss zu Beginn der Saison auswählen, welche Substanzen sie einsetzen will, damit ihr der Handel die Ernte auch abnimmt: "Wir dürfen maximal vier Wirkstoffe verwenden." Ihre Äpfel reicht sie ganz ohne Bedenken direkt vom Baum zum Verzehr.
Von den 4000 Obstbauern in Baden-Württemberg arbeiten nur etwa zehn Prozent ökologisch. Für Martina Biegger kommt ein Umstieg nicht infrage. Erstens hält sie das, was sie tut, für sinnvoll und nachhaltig, zweitens ist der Markt für Ökoprodukte klein und durch billige Konkurrenz aus Polen unter Druck. Das ist ein weiterer Grund, weshalb manche Biobauern das Begehren kritisch sehen. Sie haben einen geringeren Ertrag bei höherem Aufwand, was durch höhere Preise ausgeglichen werden muss. Eine massenhafte Umstellung auf Ökolandbau wäre für sie eine Bedrohung - sofern nicht viel mehr Leute auf Bioprodukte umsteigen als für das Bienenvolksbegehren unterschreiben.