Bleiberecht:Reems Tränen

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Einwanderer statt Flüchtling: Noch in diesem Sommer tritt in Deutschland eine Reform des Bleiberechts in Kraft, die wie zugeschnitten wirkt auf das Schicksal der 14-jährigen Reem, deren Weinen vor Kanzlerin und Kameras die Öffentlichkeit rührte.

Von Jan Bielicki

Angela Merkel konnte die Tränen der 14-jährigen Reem nicht trocknen. Doch das Gesetz, das dem Flüchtlingsmädchen aus Palästina helfen könnte, ist schon auf dem Weg. Noch in diesem Sommer tritt eine Reform des Bleiberechts in Kraft, die wie zugeschnitten wirkt auf das Schicksal des Mädchens, dessen Weinen vor Kanzlerin und Kameras den Blick öffnete auf die Ängste vieler der etwa 120 000 Menschen, die als Geduldete nur auf Abruf bis zur Ausweisung hier leben dürfen.

Etwa 30 000 von ihnen sollen die neuen Bleiberechtsregeln, die bereits Bundestag und Bundesrat passiert haben, Sicherheit bringen. Sie sehen unter anderem vor, dass Jugendliche, die seit vier Jahren in eine deutsche Schule gehen und sich "in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland einfügen", eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Auf Reem, Klassensprecherin und, wie ihr Vater dem Deutschlandfunk sagte, mit guten Noten in die Ferien gegangen, trifft das wohl zu. Rostocks parteiloser Oberbürgermeister Roland Methling hat zugesichert, ihre Familie werde bis auf Weiteres "keinen Ausweisungsbescheid übergeben bekommen".

Reems Tränen haben Diskussionen darüber ausgelöst, wie Flüchtlinge besser zu integrieren sind. Thomas Oppermann, Vorsitzender der Bundestags-SPD, bekräftigte am Sonntag die Forderung seiner Fraktion nach einem Einwanderungsgesetz. "Es läuft etwas grundfalsch in Deutschland, wenn wir einerseits mehr Nachwuchs brauchen und andererseits junge, gut integrierte Flüchtlinge von der Abschiebung bedroht sind", sagte er der Welt am Sonntag: "Junge, leistungsbereite Menschen, die sich integrieren wollen, müssen wir willkommen heißen und dürfen sie nicht abschrecken." Aus den Reihen der Arbeitgeber und der Bundesagentur für Arbeit kamen Vorschläge, Flüchtlingen die Aufnahme von Arbeit zu erleichtern. Agentur-Vorstandsmitglied Raimund Becker regte in der Rheinischen Post an, hoch qualifizierte Flüchtlinge aus dem Asylverfahren herauszunehmen und ihnen die Blaue Karte zu geben. Mit dieser Karte dürfen Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland kommen, wenn sie ein Jobangebot mit einem bestimmten Mindestgehalt vorweisen. Allzu viele Flüchtlinge werden davon nicht profitieren.

Zum einen dürfen Asylbewerber schon jetzt nach drei Monaten arbeiten, allerdings im ersten Jahr nur, wenn sich für den Job kein EU-Bürger oder anderer arbeitsberechtigter Zuwanderer findet. Zudem gibt es praktisch keine belastbaren Zahlen darüber, welche Qualifikationen Flüchtlinge mitbringen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung führt in einer Untersuchung nur Stichproben und Befragungen an, die nicht repräsentativ sind. Danach haben bis zu zwei Drittel der Asylsuchenden keine abgeschlossene Berufsbildung. Nur 16 Prozent der in Deutschland lebenden Syrer waren demnach im Dezember 2014 abhängig beschäftigt. Merkel verteidigte in der ARD ihr Verhalten Reem gegenüber. Sie könne ja nicht Menschen, mit denen sie diskutiere, sagen, "weil Du jetzt die Bundeskanzlerin getroffen hast, ist dein Schicksal schneller zu lösen als das von vielen, vielen anderen", sagte sie. "Wir sind da ein Rechtsstaat."

Reem selbst nimmt der Kanzlerin deren wenig tröstliche Worte nicht übel. "Es hätte mich noch mehr gekränkt, wenn sie nicht ehrlich gewesen wäre", sagte sie der Bild am Sonntag, "ich mag ehrliche Menschen wie Frau Merkel."

© SZ vom 20.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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