Bilanz nach einem Jahr:Was der NSA-Ausschuss gebracht hat

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Ein Teilnehmer aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags geht im Juli 2014 zur Tür des Anhörungssaales im Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)
  • Am 20. März 2013 hat der Bundestag den NSA-Untersuchungsausschuss eingesetzt. Er soll unter anderem aufklären, ob und wie der Bundesnachrichtendienst mit der NSA zusammengearbeitet hat.
  • Geschwärzte oder nicht gelieferte Akten, womöglich abgehörte Handys - die Arbeit der Abgeordneten wird dank der fast absurden Geheimniskrämerei des BND erheblich erschwert.
  • Klar ist schon heute: Dem BND fehlen für seine Arbeit die passenden Gesetze. Anders gesagt: Der BND biegt sich die bestehenden Gesetze zurecht.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es wird vieles anders werden müssen. Das wissen sie im Bundesnachrichtendienst (BND), dem deutschen Auslandsgeheimdienst. Das wissen sie im Kanzleramt, in dem der BND beaufsichtigt wird. Nur: sagen will das keiner. Der Grund ist simpel. Es fehlt die Antwort auf eine einfache Frage: Wie soll das nur gehen?

Vor einem Jahr, am 20. März 2014, haben die Abgeordneten im Bundestag den NSA-Untersuchungsausschuss eingesetzt. Mit Zustimmung aller Fraktionen übrigens. Ein Novum. Wochenlange Verhandlungen waren dem vorausgegangen.

Niemand konnte schließlich die Augen vor dem verschließen, was US-Whistleblower Edward Snowden im Sommer 2013 in die Weltöffentlichkeit gebracht hat. Sein Ex-Arbeitgeber, die National Security Agency (NSA), der größte amerikanische Auslandsgeheimdienst, sammelt in einem Umfang Daten über alles und jeden, dass selbst Geheimdienstkennern schummrig wird.

Es geht um mehr als nur um das Handy der Kanzlerin

Snowdens Dokumente legen nahe, dass die NSA auch vor Freunden nicht haltmacht. Wenn es nur das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen wäre, schlimm genug. Das Ziel der NSA aber lautet: Full Take. Alles sammeln, was das Netz hergibt. Womöglich auch die Daten von Millionen Deutschen.

Der vielbeschworene Heuhaufen, in dem Informationen sich verlieren, ist inzwischen nicht mehr das Problem. Der Haufen unsortierter Informationen ist vielmehr der Hauptgewinn für die Datenspione der NSA. Mit mächtigen Analyseprogrammen wie Prism oder XKeyscore können darin Nadeln gefunden werden, von denen die NSA vorher nicht mal annehmen konnte, dass sie sich überhaupt in ihrem Heuhaufen befinden.

Ein großer Heuhaufen - so musste angenommen werden - bestand aus den Daten deutscher Bundesbürger. Das legen die Sowden-Enthüllungen zumindest nahe. Der Verdacht stand im Raum, dass die NSA sogar von deutschem Boden aus Deutsche ausspioniert hat . Das aber wäre illegal. Auf deutschem Boden habe deutsches Recht zu gelten, stellte Kanzlerin Angela Merkel klar. Was sie vielleicht nicht wusste: Der BND hat den Amerikanern so gut es ging zugearbeitet.

Deutsche Daten wurden angeblich gegen amerikanische Technik getauscht

Eikonal lautet der Name eines dieser Kooperationsprojekte. Die Süddeutsche Zeitung hat es im Oktober 2014 aufgedeckt. Start war 2004. Es endete 2008. Der Deal: Der BND saugt aus einer Leitung der Telekom in Frankfurt Daten für die NSA ab. Im Gegenzug liefert die NSA technisches Know-how.

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Vom Tisch? Von wegen! Seit Juni 2013 werden dank des Whistleblowers Edward Snowden nahezu täglich neue Details über die Spähpogramme des US-Geheimdiensts NSA und seiner Verbündeten bekannt. Egal ob Amerikaner oder Deutsche, Durchschnittsbürger oder Kanzlerin: Alle sind betroffen. SZ.de dokumentiert die Medienberichte sowie die Reaktionen der Politik.

Daten gegen Technik. Da ist jedenfalls die offizielle Version. Oder doch Daten gegen Daten? Wenn Deutsche keine Deutschen und Amerikaner keine Amerikaner abhören dürfen, dann könnten doch Deutsche Amerikaner abhören und Amerikaner Deutsche. Und die Erkenntnisse dann miteinander teilen. Das nennen Experten Ringtausch. Und es wäre verboten.

Im Ausschuss bestreitet bisher jeder BND-Mitarbeiter, dass es einen solchen Ringtausch gegeben hat. Überhaupt sei die Zusammenarbeit mit der NSA völlig harmlos gewesen. Es sei so gut wie nichts dabei herausgekommen für die Amerikaner. Die deutschen Gesetze seien einfach zu streng, die Daten deutscher Staatsbürger tabu. Mit ungeheurem Aufwand würden deshalb die Daten von Deutschen aus den Datenströmen herausgefiltert, und erst dann vom BND weiterverarbeitet.

Absurde Geheimniskrämerei erschwert die Aufklärung

Eine Erkenntnis aus dem NSA-Ausschuss ist aber auch: Die Filter arbeiten nicht zuverlässig. Was angeblich dazu geführt hat, dass praktisch gar keine Daten an die NSA übermittelt werden konnten. Nur noch solche, die ganz sicher frei von Deutschen Staatsbürgern seien. So berichten es zumindest die Zeugen aus dem BND, die mal S.L. mal W.K., mal R.U. heißen. Wenn sie denn die Wahrheit sagen. Ihre wahren Identitäten sind geheim. Die Ausschussmitglieder wissen in der Regel nicht einmal, ob der W.K., der da vor ihnen sitzt, der W.K. ist, den sie eingeladen haben.

Das ist eines der größten Probleme im Ausschuss - die zuweilen schon absurde Geheimniskrämerei. Das Projekt Glotaic etwa - ein Kooperation ähnlich wie Eikonal, nur kleiner. Es darf von den Ausschussmitgliedern nur mit Glo... abgekürzt werden. Was das Publikum auf den Rängen des Ausschusses jedes Mal erheitert.

Schlimmer ist: Massenhaft sind Akten geschwärzt worden. Oder werden gar nicht erst vorgelegt. Schon zwei Mal hat der BND die Vollständigkeit der Akten zu einem Thema erklärt. Dann aber haben sich Zeugen verplappert und der BND musste nachliefern.

Wenn es um Akten geht, die ausländische Dienste betreffen wie die NSA oder den britischen Geheimdienst GCHQ, fragt die Bundesregierung erst um Erlaubnis, bevor dazu Unterlagen an den Ausschuss gehen. Nur wird die Erlaubnis so gut wie nie erteilt. Selbst die vertraglichen Grundlagen der Zusammenarbeit des BND mit seinen geheimen Freunden sind offenbar zu heikel für Abgeordnete.

Für Irritationen sorgen auch immer wieder Gerüchte, wonach die NSA versuche, die Ausschussmitglieder abzuhören. Die Obleute von Union bis Linkspartei haben deshalb spezielle Krypto-Handys bekommen für 2000 Euro das Stück. Damit soll abhörsichere Kommunikation möglich sein. Allerdings nur mit Gesprächspartnern, die auch so ein Handy haben. Und das haben nicht mal die anderen Ausschussmitglieder.

Und so pflügen sich die Abgeordneten voller Misstrauen durch Berge von Akten. Und müssen sich die Puzzle-Teile mühsam zusammensuchen. Die Zeugen machen es nicht leichter. Die BND-Zeugen haben derart eng gefasste Aussage-Genehmigungen, dass sie in öffentlicher Sitzung so gut wie nichts sagen dürfen. Das führt zu erheblichen Interpretations-Spielräumen.

ExklusivPosse im NSA-Ausschuss
:Handy weg, Akten weg

Im NSA-Ausschuss häufen sich Seltsamkeiten. Wo Aufklärung gefragt wäre, sehen sich die Abgeordneten mit Dilettantismus konfrontiert. Das skandalumwitterte Telefon des Ausschussvorsitzenden ist offenbar nicht dort, wo es sein sollte.

Von Thorsten Denkler

Die Obleute von Linken und Grünen jedenfalls finden, dass die öffentlichen Zeugen-Aussagen oft im krassen Wiederspruch zu dem stehen, was in nicht öffentlicher Sitzung gesagt wird. Das kann sein. Und würde auch nicht überraschen. Nur nachprüfen lässt sich das nicht. Wenn es aber stimmt, dann wird das Grundprinzip des Ausschusses, öffentlich zu tagen, ad absurdum geführt.

Trotz allem: Die Arbeit war nicht umsonst

Umsonst war die Arbeit bisher dennoch nicht. Sie hat zutage gefördert, was lange vermutet wurde, sich so deutlich aber erst im Ausschuss herausarbeiten ließ: Der BND arbeitet ganz offensichtlich längst nicht mehr auf einer soliden gesetzlichen Grundlage. Die Paragrafen in den einschlägigen Gesetzen werden derart zurechtgebogen, dass es irgendwie passt.

Selbst der Datenschutzbeauftragten des BND scheint das Vorgehen ihres Arbeitgebers manchmal nicht geheuer zu sein. Im Ausschuss erklärte sie - als Zeugin A.F. - sie halte die in BND und Kanzleramt vorherrschende Rechtsauffassung für falsch, wonach Satellitendaten, die etwa von der BND-Außenstelle in Bad Aibling abgefangen werden, sozusagen vogelfrei sind. BND-Präsident Schindler meint dagegen, dass die Daten außerhalb des Geltungsbereiches deutscher Gesetze stehen, weil sie quasi im Weltall erhoben werden. Und BND-Präsident Schindler hat seine Datenschutzbeauftragte A.F. in dieser Frage kurzerhand überstimmt, wie im Ausschuss klar wurde.

Die Gesetze, die für den BND gelten, stammen aus einem anderen technischen Zeitalter. Damals gab es noch Leitungen nur für Telefon und Faxgeräte. Ein Anruf aus dem Ausland ins Ausland war leicht zu definieren. Die Wahrscheinlichkeit einen Deutschen in einer Leitung zu erwischen, die Anrufer zwischen Pakistan und Afghanistan verbindet, war sehr gering.

Das Glasfaserkabel als Eldorado für moderne Spitzel

Spätestens seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts aber wird der Datenverkehr flächendeckend digitalisiert. Paketvermittelt, wie die Experten sagen. In den neuen Datenströmen ist alles: E-Mails, Internet-Telefonate, Videochats. Theoretisch kann alles aus aller Herren Länder kommen. Das Glasfaserkabel ist zum Eldorado für moderne Spitzel geworden.

Diesem Wandel halten die deutschen Gesetze nicht stand. Es gibt zum Beispiel eine Regel, wonach der BND reine Auslandsdaten zwar massenhaft erfassen darf, aber nur jeweils 20 Prozent der zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität. So steht es im Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses, dem sogenannten G10-Gesetz, das seinen Namen von Artikel 10 des Grundgesetzes herleitet, in dem das Fernmeldegeheimnis festgeschrieben ist.

In der Praxis hat die 20-Prozent-Regel aber keine Wirkung. Die Gründe sind vielfältig: Die Leitungskapazität hat massiv zugenommen. Oft werden die Leitungen nur zur Hälfte ausgelastet, um das Netz stabil zu halten. Es sind jede Menge Datenmüll und Streaming-Daten in den Leitungen. Der Anteil der für die Spione wichtigen Kommunikations-Daten wird deshalb ohnehin die 20-Prozent-Schwelle kaum überschreiten.

De facto läuft das also auf einen erlaubten "Full Take" aller relevanten Daten hinaus. Dass dies der BND nicht macht, hat bisher vor allem technische Gründe: Für all die Daten sind derzeit einfach die Speicher nicht groß genug. Die langfristige Speicherung solcher Datenmengen ist außerdem rechtlich beschränkt.

Völlig ohne jede Beschränkung handelt der BND mit Metadaten. Also Daten, die etwa einen E-Mail-Verkehr nur technisch beschreiben. Das seien ja keine personenbezogenen Daten, heißt es zur Begründung. Die USA aber nutzen Metadaten, um im Drohnenkrieg Ziele zu definieren. Spätestes da zeigt sich, wie sehr Metadaten auf einzelne Personen beziehbar sind.

Wen schützt das Grundgesetz?

All dies ließe sich gesetzlich noch verhältnismäßig leicht lösen. Richtig schwer aber wird es, wenn es um die Frage geht, wen eigentlich das Grundgesetz schützt? Nur Deutsche, heißt es in BND und Kanzleramt. In seiner ersten öffentlichen Sitzung des Untersuchungsausschusses aber waren vergangenen Mai drei angesehene Verfassungsrechtler im Ausschuss zu Gast. Darunter der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier. Alle drei vertraten unisono die Auffassung: Die im Grundgesetz festgeschriebenen elementaren Menschenrechte wie die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und das Telekommunikations-Geheimnis seien unteilbar. Sie müssten also für alle Menschen gelten, nicht nur Deutsche.

Dies zu Ende gedacht kann den BND in existentielle Schwierigkeiten bringen. Ernsthaft bestreitet niemand, dass die drei Verfassungsrechtler richtig liegen. Nur: Wie soll das gehen, ohne dass der BND seine Arbeit einstellen muss?

Die Bundesregierung drückt sich derzeit darum, eine Antwort auch nur zu suchen. Dabei müsste schnell eine Lösung her. Einen Geheimdienst, der nicht auf dem Boden des Grundgesetzes steht, den kann sich kein Land leisten. Schon gar keines, das andere Geheimdienste für ihre Arbeitsweise so heftig kritisiert, wie Deutschland etwa die NSA.

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