Besuch in der Türkei:Deutsch-türkische Spiegelfechtereien

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Beim Treffen in Istanbul geh­en Kanzlerin Merkel und Präsident Erdoğan betont freundlich aufeinander zu. Schwieriges kommt fast nur hinter geschlossenen Türen zur Sprache.

Von Karoline Meta Beisel, Christiane Schlötzer, Istanbul/Zagreb

Am Anfang ist alles gut. Angela Merkel nennt die neue Türkisch-Deutsche Universität "ein Juwel" und ein "Glück für unsere beiden Gesellschaften". Präsident Recep Tayyip Erdoğan begrüßt die Kanzlerin als "meine werte Freundin". So viel Harmonie war selten in einem schwierigen Verhältnis.

Am Freitag eröffneten Merkel und Erdoğan gemeinsam den neuen Campus der Hochschule, die das Kürzel TAU für Türk-Alman Üniversitesi trägt. Merkel lässt ahnen, wie schwierig der mehr als zehnjährige Vorlauf war. "Das wird nie was", habe sie sich ein paar Mal gedacht. Ihre subtilere Botschaft hüllt die Physikerin an diesem Ort der Lehre in ein Zitat von Albert Einstein: "Neugier braucht Freiheit".

Die Universität steht auf einem Hügel über dem Bosporus, Lehrsäle und Labors hat die Türkei finanziert, die Professoren werden von beiden Staaten bezahlt, mehr deutsche Lehrer werden gesucht. Im Moment gibt es knapp 2500 Studenten, in Ingenieur-, Rechts- und Sozialwissenschaften. "Bis zu 7000" sollten es werden, sagt Erdoğan. Merkel ist etwas bescheidener und spricht von "mittelfristig 5000". Rita Süssmuth, die Ex-Bundestagspräsidentin, ist sichtlich bewegt, als sie bei der Feier erzählt, wie hart die Anfänge waren. "Ich hatte einen Traum", sagt Süssmuth, die zu den ersten Förderern der TAU gehört.

Von der gastgebenden Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul hat Bundeskanzlerin Angela Merkel einen osmanischen Spiegel als Geschenk bekommen. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird kurz darauf einen osmanisch anmutenden Helm erhalten. (Foto: Ahmed Deeb/AFP)

Einen Moment stutzt Merkel, als ihr Rektor Halil Akkanat ein Gastgeschenk überreicht, etwas Goldglänzendes mit Stiel. Merkel nimmt das Ding, dreht es und siehe: Es ist ein Handspiegel. Auch Erdoğan versteht nicht gleich, was ihm als Gabe zugedacht ist. Da ist Merkel schneller und macht eine Geste, als würde sie sich einen Hut aufsetzen: Der Präsident bekommt einen osmanisch anmutenden Helm.

Merkel hat diesen Besuch in der Türkei schon vor Monaten geplant, da hatte sich die Türkei noch nicht in den Krieg in Libyen eingemischt. Am vergangenen Sonntag hat Merkel in Berlin versucht, die libyschen Streitparteien einem Frieden näherzubringen. Erdoğan zeigt auch in der Uni, dass ihn Tripolis eigentlich mehr interessiert als die Zahl der Studiengänge an der TAU. Er lobt Merkel dafür, dass sie die Berliner Konferenz ausgerichtet hat. "Mit Libyen haben wir seit 500 Jahren historische Beziehungen", sagt er. Die Türkei müsse "die Brüder" dort unterstützen.

Die Türkei steht aufseiten der international anerkannten Regierung in Tripolis, und Erdoğan fordert auch bei dem Auftritt mit Merkel "mehr Druck" auf den Rebellengeneral Khalifa Haftar. Der greife auch Zivilisten und den Flughafen in Tripolis an, sagt er, der Krieg strahle auf die ganze Mittelmeerregion aus. Auf der Berliner Konferenz war von allen internationalen Staaten, die in Libyen aktiv sind, eine Waffenruhe vereinbart worden, die Merkel in Istanbul "noch fragil" nennt.

Bevor Erdoğan und Merkel sich zu einem Vier-Augen-Gespräch zurückziehen, in einer ehemaligen osmanischen Residenz, hat die Kanzlerin noch eine Runde angesetzt: mit Vertretern der Zivilgesellschaft. Darunter ist der Menschenrechtsanwalt Veysel Ok und auch eine Vertreterin der Stiftung Anadolu Kültür, die von dem seit Oktober 2017 inhaftierten Unternehmer und Mäzen Osman Kavala gegründet wurde und ein Partner des Goethe-Instituts ist. Danach sagt Merkel, und Erdoğan muss zuhören, über verhaftete oder in der Türkei angeklagte deutsche Bürger werde man noch "Fall für Fall" sprechen.

Auch das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist Thema hinter verschlossenen Türen. Erdoğan beklagt danach auf einer Pressekonferenz mit Merkel, dass die sechs Milliarden Euro EU-Hilfe für Syrer in der Türkei an Nichtregierungsorganisationen gingen. "Im Staatshaushalt kommt nichts an", sagt er. Die Türkei aber habe schon 40 Milliarden US-Dollar ausgegeben, für mehr als 3,5 Millionen Flüchtlinge. Merkel hält dagegen, sie sagt, das Geld für die NGOs entlaste auch die Türkei. Sie sagt aber auch, sie könne sich "über die sechs Milliarden" hinaus eine weitere Unterstützung der Türkei in diesem Bereich vorstellen, ebenso wie Hilfe beim Bau fester Unterkünfte für Geflüchtete aus dem umkämpften syrischen Idlib, die in Zelten an der türkischen Grenze ausharren.

Die Flüchtlingssituation, vor allem die katastrophale Lage in den Camps auf den griechischen Inseln, war am Freitag auch Thema der EU-Innenminister in Zagreb. Während Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) betonte, man könne "die Griechen nicht alleinlassen", warnte der neue konservative österreichische Innenminister Karl Nehammer davor, Menschen von den Inseln aufs Festland zu bringen. Die meisten seien "Wirtschaftsflüchtlinge, und machen sich dann auf den Weg nach Mitteleuropa, Deutschland, Österreich", sagte er. Damit werde "die Schlepperei wieder zunehmen".

© SZ vom 25.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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