Berlin:Pflichtenheft für eine andere Politik

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Der Koalitionsvertrag der rot-rot-grünen Regierung hat 251 Seiten. Das ist Raum für einiges Wortgeklingel aber auch für ein paar Versprechen, die eine neue Politik einleiten könnte.

Von Jens Schneider

Schon der Umfang des rot-rot-grünen Koalitionsvertrags für Berlin ist ein Indiz für den hohen Anspruch. Außergewöhnliche 251 Seiten hat die Verabredung, in der die Parteien ein "Jahrzehnt der Investitionen" ankündigen. Sie versprechen den Bürgern der Hauptstadt buchstäblich, jeden Tag hart daran zu arbeiten, ihre Stadt besser zu machen. Sie führen en détail aus, wie das gehen soll. Dazu passt die Rhetorik. Linkspartei-Chef Lederer spricht auch für SPD und Grüne von einer progressiven Reformregierung.

Gewiss gibt es im dicken Koalitionskompendium manches Postulat, das Wortgeklingel bleiben dürfte. Aber der Grundton dieser Koalition ist vom konkreten Willen geprägt, sich Ziele zu setzen, den Weg zu definieren und sich daran messen zu lassen. So sollen die überforderten Bürgerämter - eines der größten Ärgernisse für die Berliner - binnen eines Jahres so arbeiten, dass die Bürger ihre Anliegen in 14 Tagen erledigt haben. Klare Ansagen gibt es zur Verkehrspolitik, die Radfahrern viel mehr Raum geben und Busse und Bahnen stärken will, zur Sanierung der entsetzlich maroden Schulen, zum Wohnungsbau, zu Mieten in Sozialwohnungen.

Damit zeigt die Koalition Mut in einer Zeit, da viele Regierungen klare Ausrichtungen scheuen und sich hinter Worthülsen verstecken, weil ein klares Profil Fallhöhe aufbauen würde. Sie unterscheidet sich von jenen, die das Durchmuggeln zum Prinzip erklärt haben. Sie setzt ein Zeichen gegen die Beliebigkeit.

Der Koalitionsvertrag birgt ein ziemlich großes Versprechen

Die Koalition gibt damit eine klare Antwort auf den Missmut der Bürger, der die Wahl im September prägte. Nur mit messbaren Erfolgen lässt sich die Stimmung in Berlin drehen, das die Bürger zu Recht als schlecht regiert ansehen. Vor allem Linke und Grüne wollten nach Jahren in der Opposition verbindliche Festlegungen. In der SPD gibt es die für eine Dauerregierungspartei typische Neigung zum Weiterwurschteln. Letztlich aber verstanden die Sozialdemokraten ihr mieses Wahlergebnis als letzte Warnung, dass vieles besser werden muss. Gelingt das, kann die Koalition für eine neue Epoche in der Geschichte Berlins nach der Vereinigung 1990 stehen.

Damals gab es die viel zu großen Träume vom Aufstieg zur reichen Weltmetropole. Es folgten Jahre der Stagnation, mit lähmenden Schulden und einem harten Sparkurs. Zuletzt erlebte die Stadt einen Boom auf schwacher Basis, dem Regierung und Verwaltung nachliefen. Nun geht es darum eine moderne Metropole zu gestalten.

Dabei geht es nicht um den großen Wurf. Diese Koalition hat erst mal dafür zu sorgen, dass die Stadt wieder funktioniert. Niemand sollte jetzt von einem rot-rot- grünen Modell für die Bundespolitik sprechen. Erst mal ist da nur ein großes Versprechen. Regierungschef Müller muss immer noch unter Beweis stellen, dass er Probleme nicht nur benennen kann. Die drei Parteien müssen zeigen, dass sie gemeinsam regieren können. Geht das schief, wäre der Rückschlag dramatisch. Ihr erstes Verdienst ist aber, benannt zu haben, wie es für Berlin weitergehen soll.

© SZ vom 18.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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