Berlin:Mene mene Tegel

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Die Berliner haben einen Volksentscheid zum Erhalt des alten Flughafens erzwungen. Wenn der erfolgreich ist, hätte das weitreichende Folgen: Nur wenn Tegel geschlossen wird, darf der Pannen-Airport BER in Betrieb gehen.

Von Jens Schneider, Berlin

Wenn Berliner über die Peinlichkeiten rund um die ewige Baustelle des Hauptstadtflughafens reden, grinsen manche recht heiter. Keine Frage, so räumen sie ein, das ist schon alles schlimm mit diesem BER, die hohen Kosten, die ständigen Pannen. Nicht mal mehr einen Eröffnungstermin gibt es derzeit für den neuen Berliner Flughafen. Es sollte Ende 2017 werden. Anfang des Jahres hat die Geschäftsführung diesen Termin wegen ständiger Probleme abgeblasen. Wirklich schlimm, und doch finden zumindest einige Berliner es wunderbar, weil nämlich damit der Flughafen Tegel länger offen bleibt.

Es gibt vor allem unter alten Westberlinern eine sentimentale Bindung an diesen 1974 eröffneten Flughafen. Er wirkt wie ein Stück ihrer Identität, als eine der letzten erhaltenen Konstanten in einer Stadt, die mit ihren vielen Brüchen seit 1990 anstrengend sein kann und kaum wiederzuerkennen ist. Und er ist von der Bauart und Lage her so leicht und schnell zugänglich, wie es der neue Flughafen in Schönefeld selbst bei bester Anbindung nicht sein kann. Wie es in Schönefeld sein wird, weiß man nicht recht. Tegel kennt man. Und zwar als verlässlich.

All das erklärt, warum die Bürgerinitiative "Tegel bleibt offen" jetzt 257 218 Unterschriften für ein Volksbegehren für den Erhalt des Flughafens sammeln konnte, der längst geschlossen wäre, wenn der BER in Schönefeld rechtzeitig im Juni vor fünf Jahren eröffnet hätte. Die Landeswahlleiterin hat am Dienstag bekannt gegeben, dass davon 204 263 Unterschriften gültig sind - das sind 30 012 mehr als erforderlich. So dürfte es im Herbst zum Volksentscheid über die Zukunft von Tegel kommen.

Nur wenn Tegel geschlossen wird, darf der neue BER überhaupt eröffnen

Die Initiative für Tegel war anfangs belächelt worden. Rein rechtlich ist es im Grunde ausgeschlossen, diesen Flughafen offen zu halten. Er muss spätestens ein halbes Jahr nach der Eröffnung des neuen BER geschlossen werden. Nur unter dieser Bedingung darf der BER betrieben werden. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil 2006 entschieden.

Tegel war in den Siebzigern der modernste Flughafen Europas, damals, als alles klein und betulich zuging in der Mauerstadt. Wer hier ankommt, kann sich fühlen wie in Hannover oder Köln-Bonn vor vierzig Jahren. Nur dass die Architektur hier besonders gelungen und zweckdienlich ist, sodass dieses in Vollbetrieb gehaltene Luftfahrtmuseum enorme Vorzüge gegenüber modernen Großflughäfen hat. Wo sonst kommt man so schnell zu seinem mit einer eigenen Passkontrolle ausgestatteten dezentralen Gate, ohne erst mal acht Rolltreppen und eine kaufhausgroße Dutyfree-Zone passieren zu müssen. Wo sonst sind die Wege vom Bus oder dem Auto zum Check-in so kurz. Und dann erst in die Stadt: In München oder London verbringt man mit der Zugfahrt nach dem Flug und den Wegen auf dem Flughafen gefühlt mehr Zeit als in der Luft. Von Tegel aus ist man schnell am Zoo oder in Mitte.

Dieser Vorzug hat freilich einen gigantischen Preis, den sehr viele Berliner zu zahlen haben. Mit seinem Lärm ist der Flughafen im Herzen der Stadt für die Menschen in Reinickendorf, in Pankow, im Wedding oder in Spandau eine enorme Belastung. In den vergangenen Jahren stieg die Zahl der Flüge immer mehr an: 21,2 Millionen Passagiere flogen im vergangenen Jahr von Tegel ab oder kamen dort an, ein Rekordwert, inzwischen ist die Kapazitätsgrenze erreicht. Und weil Tegel fast mitten in der Stadt liegt, sind hier eben auch mehr Menschen vom Fluglärm betroffen als an vergleichbaren anderen Flughäfen. Man hatte also gute Gründe, als die Schließung von Tegel beschlossen wurde. Mit dem Erfolg des Volksbegehrens dürfte eine ernsthafte Debatte über Tegel deshalb erst richtig beginnen.

© SZ vom 05.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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