Es war ein Eingeständnis, auf das die polnischen Gastgeber gewartet hatten. Das Wissen um die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges komme in Deutschland zu kurz, hatte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im August vergangenen Jahres bei den Feiern zum 75. Jahrestag des Warschauer Aufstandes eingeräumt. Er verband das mit Unterstützung für eine Initiative, der sich viele Abgeordnete im Bundestag über Fraktionsgrenzen hinweg angeschlossen haben: In Berlin soll ein Denkmal entstehen für die zahlreichen polnischen Opfer des NS-Terrors. Das Vorhaben wird von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) unterstützt - stößt aber auch auf erheblichen Widerstand. In einem Schreiben an Schäuble und die Fraktionschefs, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, hat sich der Beiratsvorsitzende der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Wolfgang Benz, sich gegen das Projekt ausgesprochen. Der Beirat sehe die "Gefahr einer Nationalisierung des Gedenkens, zumal die Forderung nach einem Ukraine-Denkmal nun ebenfalls im Raum steht". Überdies könne "ein Denkmal die Leerstellen historischen Wissens nicht beheben und die notwendige Aufklärung über die deutschen Verbrechen und ihre Opfer nicht leisten".
Benz plädiert deshalb für ein anderes Projekt. Geschaffen werden solle ein Dokumentationszentrum über die deutsche Besatzungsherrschaft in Europa zwischen 1939 und 1945 unter dem Dach der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Dies solle ein Ort sein "der historischen Aufklärung und Bildung, der internationalen Begegnung von Menschen aus allen europäischen Staaten, der Toleranz und Friedensarbeit wie auch des Gedenkens an die zivilen Opfer in ganz Europa". Die "vergleichende Perspektive" könne "Gemeinsamkeiten deutscher Okkupation zwischen Pyrenäen und Ural" aufzeigen, aber auch "rassistisch motivierte Unterschiede".
Benz verweist überdies auf die Zuständigkeit seiner Stiftung. Gesetzlich habe sie den Auftrag, die "Erinnerung an alle Opfer des Nationalismus und ihre Würdigung in geeigneter Weise sicherzustellen". Große Wissenslücken, argumentiert er, gebe es eben nicht nur in Bezug auf polnische, sondern auch auf andere Opfer der Nationalsozialisten. Das stellen die Befürworter eines Polen-Denkmals zwar nicht in Abrede, argumentieren aber, dass die Polen nicht einfach Opfer unter vielen gewesen seien - wobei sie auch auf den Hitler-Stalin-Pakt von 1939 verweisen. Ihm sei bewusst, "dass es Argumente für und wider ein solches Denkmal gibt", schrieb Schäuble in seiner Antwort an Benz. In deren Abwägung habe er sich allerdings dafür entschieden, "den Vorschlag aus der Mitte des Parlaments zu unterstützen". Mit "Blick auf das deutsch-polnische Verhältnis" halte er eine "zügige Befassung des Bundestages mit dieser wichtigen erinnerungspolitischen Initiative für geboten". Damit spielt Schäuble auf die Hoffnung an, dass die Errichtung des Denkmals, für das der Askanische Platz vor der Kriegsruine des Anhalter Bahnhofs in Berlin im Gespräch ist, das schwierige Verhältnis zur national-konservativen Regierung in Warschau entspannen könnte.
Er sei auch "skeptisch, ob ein dezidiert trans- und postnationaler Ansatz des Gedenkens, dem sich aus nachvollziehbaren historischen Gründen gerade Deutsche verpflichtet sehen, von anderen Nationen mitgetragen würde", betonte Schäuble. Ähnlich argumentiert auch der Grünen-Abgeordnete Manuel Sarrazin. Es sei "politisch falsch und gefährlich, aus Deutschland den Versuch zu unternehmen, die nationalen Formen des Gedenkens und ihre Rituale zu negieren oder schulmeisterlich durch eine von Deutschland präferierte geschichtspolitische Agenda korrigieren zu wollen". Der "Täternation Deutschland" stehe eine solche Deutungshoheit nicht zu. Der Historiker Benz hält dem die Forderung entgegen, der "Zersplitterung der Erinnerungskultur" entgegenzuwirken. Geschaffen werden müsse ein "gemeinsames europäisches Forum, das nicht nur der Würdigung aller Opfer, sondern auch dem Informationsbedürfnis künftiger Generationen dient".