Die Bundesregierung und ihre Sicherheitsbehörden erwägen einen drastischen Kurswechsel gegenüber der Türkei. Derzeit wird geprüft, ob das Land auf eine sogenannte "Staaten-Liste" gesetzt werden soll. Auf ihr befinden sich jene Staaten, in denen Geheimnisträger aus Nachrichtendiensten und bestimmten Bereichen der Polizei und der Bundeswehr mit "besonderen Sicherheitsrisiken" zu rechnen haben, etwa Einschüchterungs- und Erpressungsversuchen.
Die Konsequenzen für Tausende Beamte mit Zugang zu Verschlusssachen wären gravierend: Ihnen könnten dann Urlaubsreisen in die Türkei untersagt werden, auch eine Ehe oder eine Beziehung mit einem türkischen Partner könnte im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung als Risiko eingestuft werden.
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In der Türkei soll erneut ein deutsches Ehepaar in Polizeigewahrsam genommen worden sein. Eine offizielle Bestätigung gibt es noch nicht.
Das Bundesinnenministerium bestätigte auf Anfrage entsprechende Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR. "Die Liste wird aktuell überarbeitet", erklärte ein Sprecher. "Das Bundesinnenministerium prüft in diesem Zusammenhang auch, ob die Türkei auf diese Liste zu setzen ist." Im Juli hatte die Bild-Zeitung gemeldet, dass der BND sich für einen solchen Schritt ausgesprochen habe. Auf der Staaten-Liste finden sich aktuell 30 Länder, darunter China, Russland, Pakistan und Nordkorea.
Die Türkei weniger als Partner denn als Gegner
Der Nato-Partner Türkei hingegen galt bisher als enger Verbündeter, insbesondere im Bereich der Terrorismusbekämpfung. Das Bundesinnenministerium verhandelte und unterzeichnete eigens ein entsprechendes Abkommen mit Ankara. Mit dem Beginn der sich verschlechternden Beziehungen setzte in deutschen Sicherheitsbehörden eine Diskussion über den Umgang mit der Türkei ein. In manchen Verfassungsschutzbehörden plädiert man dafür, das Land weniger als Partner denn als Gegner zu behandeln.
Statt Kooperation - etwa bei der Bekämpfung des sogenannten Islamischen Staates - solle man die nachrichtendienstliche Beobachtung der Türkei ausbauen. In einzelnen Behörden werden auch schon seit Monaten Mitarbeiter vor Urlaubsreisen in die Türkei gewarnt - oder zumindest über die besonderen Risiken aufgeklärt. Die Befürchtung ist groß, dass die türkische Regierung neben Menschenrechtlern und Journalisten auch einen deutschen Amtsträger inhaftieren könnte.
In Regierungskreisen wird betont, die Entscheidung sei noch nicht gefallen. Allerdings hat die hierfür zuständige Fachabteilung im Innenministerium bereits einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet. Danach wären nicht alle Geheimnisträger, sondern vor allem die Mitarbeiter von Nachrichtendiensten und ähnlich sicherheitsempfindlichen Behörden betroffen. Für sie gelten besonders strenge Regeln.
Die Türkei in die Staaten-Liste aufzunehmen, wäre ein "gravierender Schritt", hieß es. So wurde etwa Albanien 2009 aufgrund seiner Nato-Mitgliedschaft von der Liste entfernt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hatte die Zusammenarbeit mit dem schwierigen Partner Türkei unlängst als "unverzichtbar" verteidigt.