Berlin:Arm, aber selbstbewusst

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Einfach eine tolle Stadt, ein Sehnsuchtsort für viele - oder doch gescheitert? Berlins Finanzsenator widerspricht: Die Stadt wachse dynamisch. (Foto: Paul Zinken/dpa)

Berlin baut Schulden ab und gibt sich kämpferisch. Der Finanzsenator fordert beim Länderfinanzausgleich mehr Tempo und wirft Bayern beim Streit um die Erbschaftsteuer-Reform Täuschung vor.

Von Cerstin Gammelin und Jens Schneider, Berlin

Unmittelbar vor der Klausurtagung der CSU Anfang Januar in Wildbad Kreuth verschärft sich der Streit über die Reform der Erbschaftsteuer. Das Land Berlin wirft der bayerischen Landesregierung vor, den Reformentwurf durch eine bewusste Fehlinterpretation zu blockieren. "Aus Bayern wird gezielt Misstrauen gesät", sagte Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) der Süddeutschen Zeitung. "Wir dürfen uns nicht aufschwätzen lassen, dass höhere Einnahmen bei der Erbschaftssteuer eine Steuererhöhung sind".

Der Streit über die Erbschaftsteuer war Anfang Dezember eskaliert, als das Bundesfinanzministerium Zahlen vorlegte, wonach die geplante Reform zu deutlich höheren Einnahmen führen könnte. Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) bekräftigte gegenüber der SZ, dass der Entwurf "nicht zustimmungsfähig" sei. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) plane "eine klare Steuererhöhung". Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums müssten 1,5 Milliarden Euro mehr Steuern bezahlt werden. Der Gesetzentwurf verstoße deshalb gegen die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, die Steuererhöhungen ausdrücklich ausschließt.

Kollatz-Ahnen stellte sich gegen Söder. Er verwies darauf, dass das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung den klaren Auftrag erteilt habe, das geltende Recht zu ändern, weil bisher zu viele Erben verschont würden. "Und es muss kein Fehler sein, wenn das Volumen der Erbschaftsteuer bei gleichen Steuersätzen steigt", sagte der Finanzsenator. Schließlich steige auch die Anzahl der Erbfälle. "Wenn zehnmal so viel vererbt wird, dürfen auch mehr Steuern gezahlt werden." Er werde keine weiteren Ausnahmen mittragen. "Berlin wird nicht den Finger heben für ein Gesetz, das von vornherein verfassungswidrig ist."

Berlin will die Verschuldung erstmals seit Jahren unter die 60 Milliarden-Marke drücken

Im Streit über die Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern dringt Kollatz-Ahnen auf eine zügige Einigung. Die Zeit werde knapp, sagte er. Schon rein rechtlich sei es so, dass die Länder in ihren Finanzplanungen jetzt auch das Jahr 2020 kalkulieren müssen. Da wäre es "ausgesprochen schlecht", nicht zu wissen, wie viel ihnen zur Verfügung stehe. "Dann klingen die Finanzplanungen der Länder wie ein Wetterbericht. Entweder das Wetter wird schlecht, oder es wird gut." Die Bund-Länder-Finanzen müssten deshalb im ersten Halbjahr 2016 geregelt werden. Die für 27. März 2016 geplante Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder sei "die nächste Gelegenheit".

Kollatz-Ahnen zeigte sich grundsätzlich bereit, über die von Schäuble geforderte Gründung einer staatlichen Infrastrukturgesellschaft beim Bund zu verhandeln. Schäuble hat diese Gesellschaft zu einer Bedingung für die Zustimmung des Bundes zum neuen Länderfinanzausgleich gemacht. Im Februar wollen die Länder dazu ein Gutachten vorlegen. Sie hatten sich Anfang Dezember nach langen Verhandlungen darauf verständigt, die Umverteilung der Finanzen zwischen reichen und armen Ländern komplett zu ändern. Der seit Jahren umstrittene Länderfinanzausgleich soll durch ein Umsatzsteuermodell ersetzt werden. Der Bund soll dabei von 2020 an jährlich 9,7 Milliarden Euro Kompensationszahlungen leisten. Er hat bisher allerdings nur 8,5 Milliarden Euro angeboten.

Das Land Berlin kann inzwischen finanzpolitisch selbstbewusster auftreten. "Ich bin optimistisch, dass wir in diesem Jahr die Verschuldung Berlins erstmals seit Jahren unter die 60-Milliarden-Euro-Grenze drücken. Das ist ein wichtiges Symbol", sagte er. "Es zeigt, dass Berlin wirklich den Schalter umgelegt hat." Unter dem früheren Regierungschef Klaus Wowereit sei "der Turnaround" vollzogen worden, der in Zahlen messbar sei. "Noch zu Beginn der aktuellen Wahlperiode hatte Berlin eine Verschuldung von 62,9 Milliarden Euro. Das Land hat also in vier Jahren drei Milliarden Euro Schulden abgebaut."

Dieser Turnaround sei vor zehn Jahren für viele unvorstellbar gewesen. Dabei ist Berlin noch immer hoch verschuldet, also faktisch arm, wie Kollatz-Ahnen betont. "Der Bund oder die anderen Länder sind nicht bereit, uns mit einer Altschulden-Regelung zu helfen", sagt der Finanzsenator. "Also werden wir das selbst machen." Berlin müsse "unbedingt die Niedrigzinsphase jetzt nutzen, um durch Schuldenabbau und Wachstum in zweieinhalb bis drei Legislaturperioden das Verschuldungsniveau auf ein normales Maß zu bringen." Damit würde Berlin auch die Maastricht-Kriterien zur Verschuldung erfüllen.

Die Stadt wachse sehr dynamisch, deshalb werde neben dem Schuldenabbau auch investiert. Doch das Ziel sei, "dass alle Haushalte in Zukunft auch eine Rückzahlung von Schulden vorsehen".

Es widerspricht Kritikern, die Berlin als Stadt beschreiben, in der nichts funktioniere. "Es geht an der Realität vorbei, von einem Scheitern Berlins zu sprechen", sagt Kollatz-Ahnen. "Wir haben Probleme, wir müssen besser werden." Aber das Bild von der "failed city", einer gescheiterten Stadt, sei falsch. "Diese Stadt wächst dynamisch, sie hat europaweit die meisten Start-Ups, jedes Jahr kommen mehr als 40 000 Menschen neu hierher, weil sie es wollen." Kollatz-Ahnen: "Ich sage Ihnen: Es gibt keinen failed state in der Welt, der wie Berlin der Sehnsuchtsort der Jugend der Welt ist."

© SZ vom 31.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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