Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag:Der Herr, der 16 Namen hat

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Wenn die Deutschen mehr Transparenz fordern, müssen die Brüssel-Europäer schmunzeln. Denn: Deutschland gibt es in Brüssel gleich 16 Mal.

Heribert Prantl

Das deutsche Unglück in Brüssel trägt eine Nummer, die 23. Der Artikel 23 Grundgesetz befasst sich mit der Europäischen Union, und er ist schuld daran, dass die Brüssel-Europäer schmunzeln, wenn die Deutschen mehr Transparenz in Brüssel fordern. "Die sollen doch erst einmal", heißt es dann, "bei sich Transparenz herstellen."

In Brüssel gibt es Deutschland gleich 16 Mal, samt Botschaften. (Foto: Foto: ddp)

In Europas Hauptstadt wissen nicht einmal Experten auf Anhieb, wer in welcher Frage mit welchem Gewicht für Deutschland spricht: Ist es der Bund, sind es die Länder? Ist es ein Bundesminister oder ein Landesminister, oder sind es die 16 Europaminister, und wenn ja einzeln oder zusammen? Wird Deutschland in der EU von Angela Merkel vertreten oder von dem Herrn, der 16 Namen hat, noch viel mehr also, wie einst der deutsche Kaiser - also von dem Herrn Oettinger-Seehofer-Wowereit-Platzeck-Böhrnsen-Beust-Koch-Sellering-Wulff-Rüttgers-Beck-Müller-Tillich-Böhmer-Carstensen-Althaus?

Bundesländer wollen Macht ausbauen

"Ich liebe Deutschland so, dass ich froh bin, dass es zwei davon gibt", hat der französische Schriftsteller François Mauriac über das geteilte Deutschland gesagt. In Brüssel gibt es Deutschland gleich 16 Mal, samt Botschaften. Jetzt scheint es bei den Bundesländern Lust darauf zu geben, ihre Macht und Herrlichkeit in Brüssel noch auszubauen.

Anlass für diese Lust ist das große Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag. Karlsruhe hat angeordnet, dass die gesetzgebenden deutschen Organe - also Bundestag und Bundesrat - mehr zu sagen haben müssen; und es hat die Bundesregierung in allen entscheidenden EU-Fragen an deren Votum gebunden. Karlsruhe wollte vor allem die deutsche Demokratie stärken, also die deutsche Exekutive in EU-Fragen viel mehr als bisher an das Parlament binden.

Diese urdemokratische Absicht verkennen die Kritiker des Urteils. Die höchsten deutschen Richter wollten die Demokratie stärken, nicht den Nationalismus. Und sie wollten ganz gewiss nicht das föderalistische Tohuwabohu noch weiter tohuwabohusieren. Die Föderalismusreform hat an der deutschen Vielzüngigkeit in Brüssel nichts geändert.

Der Artikel 23 war 1992 die Rache der Länder dafür, dass der Bund ihnen jahrelang Kompetenzen abgenommen hat: Kanzler Kohl war bei der Ratifizierung des Maastricht-Vertrages auf die Länder angewiesen; die taten sich zusammen und gebaren eine Monsterqualle - eben den Artikel 23 mit seinen verschachtelten Beteiligungsrechten der Länder.

Das neue Begleitgesetz zum Lissabon-Vertrag, das wegen des Karlsruher Urteils nun geschrieben werden muss, kann als Chance begriffen werden, die deutschen Dinge in Brüssel endlich einfacher zu gestalten. Das Begleitgesetz sollte also genutzt werden, um den deutschen Föderalismus europafähig zu machen. Das heißt: Die Länder sollen sich in den einschlägigen Fragen unter sich einigen - dann muss die Bundesregierung als deutsche Stimme auftreten. Ex pluribus unum: aus vielen muss eines werden.

© SZ vom 11.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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