Balkanroute:Stiefel nach Athen

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Weit weg von Lügde: Frontex-Beamter im Hafen der Insel Samos. (Foto: dpa)

NRW-Innenminister Herbert Reul besucht deutsche Polizisten, die in Griechenland Dienst tun.

Von Christian Wernicke, Idomeni

Man findet noch Spuren im Staub. Die verrosteten Thunfischdosen, die verdreckten Plastikflaschen erzählen davon, was vor drei Jahren los war am Dorfrand von Idomeni. 12 000, vielleicht auch 13 000 Syrer, Iraker und Afghanen saßen hier in Nordgriechenland fest, hausten im Schlamm und auf Bahngleisen. Europa hatte beschlossen, die Balkanroute zu schließen - und hier, an der Grenze zur Republik Nordmazedonien, endete der Marsch der Flüchtlinge gen Norden, nach Deutschland. Fotini Gkagkaridou, Majorin der griechischen Grenzpolizei, erinnert sich an das Elend, das sie damals in den Griff kriegen musste: "Es war schrecklich, wochenlang."

Und heute? "Der Druck ist raus", versichert die 38-jährige Polizistin. Sie weiß nicht, ob jemals wieder ein solcher Flüchtlingsstrom auf Idomeni zukommen wird. "Dies ist nun mal der Flaschenhals nach Europa", sagt sie, um dann zu versichern: "Wir sind auf alles vorbereitet."

NRW-Innenminister Reul besuchte am Donnerstag seine Beamten und gab sich beeindruckt: "Dies ist ein Einsatz, der uns in Deutschland schützt"

Tatsächlich hat sich die Lage verändert. Seit im März 2016 der von Kanzlerin Angela Merkel mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ausgehandelte Deal zur Rücknahme von Geflüchteten in Kraft trat, kommen wesentlich weniger Menschen. Ein Grund dafür ist, dass die Türken an ihren Küsten seither Schlepperboote abfangen. Allein 2019 wurden so laut Ankara 6300 Migranten an der Überfahrt gehindert. Hoffnung macht Gkagkaridou zudem, dass Europa inzwischen ihrer Grenzstation hilft. Etwas wenigstens: 36 Mitarbeiter von Frontex, der EU-Grenzschutz-Agentur, fahren auf den Hügeln rund um Idomeni Patrouille. Von den acht deutschen Polizisten gehören drei der Landespolizei Nordrhein-Westfalens an. NRW-Innenminister Herbert Reul besuchte am Donnerstag seine Beamten und gab sich beeindruckt: "Dies ist ein Einsatz, der uns in Deutschland schützt." Zwar braucht er auch daheim jeden Mann und jede Frau, um Kleinkriminelle oder Clans zu bekämpfen. Aber der Personalbeistand aus NRW für Frontex werde jetzt kurzfristig verdoppelt - von sieben auf 14 Polizisten.

Wichtiger als die EU-Manpower ist die Technik, die Frontex mitbringt. "Das sind Dinge, die wir vorher nie gesehen hatten", sagt Gkagkaridou. Neue Geländewagen etwa oder die beiden "Thermo Vision Vans" aus Tschechien, die nachts Migranten aufgrund ihrer Körperwärme entdecken. Im Vergleich dazu wirkt die Wache der Grenzpolizei wie aus dem vergangenen Jahrhundert: Im Flur stehen abgeschaltete Faxgeräte, die Farbe blättert von der Wand. Im Besprechungsraum überraschen neue Möbel, ein Fernseher und der einzige Ofen - das haben die Polizisten selbst beschafft, bezahlt von 1300 Euro Nettogehalt. Weil griechische Polizisten sich meist auch ihre Dienststiefel selbst kaufen müssen, wollen ihre deutschen Kollegen jetzt die Kleiderkammern der NRW-Polizei nach Schuhzeug durchforsten - und Stiefel nach Athen schicken.

Inzwischen wächst der Druck auf der Balkanroute wieder. 2018 stieg die Zahl der in Griechenland angekommenen Migranten gegenüber 2017 um ein Drittel auf gut 47 000. Das Rücknahmeabkommen mit der Türkei gilt eh nur für die 32 000 Menschen, die 2018 übers Mittelmeer kamen. Doch nur 322 Migranten wurden voriges Jahr in die Türkei zurückgebracht. Griechenlands Asylbürokratie liefert kaum Entscheidungen, weshalb die Bundespolizei griechische Flughäfen mitkontrolliert und dort 2018 mehr als 6500 Passagiere abwies, die ohne gültige Papiere reisen wollten. 76 000 Menschen zählte das UN-Flüchtlingshilfswerk in griechischen Lagern. Täglich kommen viermal mehr Migranten an, als offiziell abgeschoben werden.

© SZ vom 03.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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