Balkan:Die Aussöhnung ist abgesagt

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Serbiens Präsident Alexsandar Vučić sieht keine Chancen für eine schnelle Lösung des jahrzehntelangen Konflikts mit dem Kosovo. Den möglichen Gebietstausch bezeichnet er als "eine Lüge."

Von Peter Münch, Wien

Präsident Vučić zu Besuch bei der serbischen Minderheit in Mitrovica. Kosovaren im Zentrum des Landes hatten Straßensperren gegen ihn errichtet. (Foto: Darko Vojinovic/AP)

Die Straßen im nördlichen Kosovo sind geschmückt mit seinen Bildern. "Willkommen, Herr Präsident", steht auf den Bannern. Wenig ist dem Zufall überlassen bei dieser Inszenierung, und als der serbische Staatschef Aleksandar Vučić am Sonntagmittag die gebührend mit Fahnen geschmückte Bühne in Mitrovica betritt, da kündigt ein Trommelwirbel Großes an: "Ich werde keine Sekunde zögern, das serbische Volk in Kosovo zu schützen", ruft Vučić. "Aber ich bin gewählt worden für das Leben und nicht für den Tod."

Wenn ein serbischer Präsident nach Kosovo reist, dann liegt stets Spannung in der Luft. Vor Wochen schon hatte Vučić angekündigt, er werde hier die wichtigste Rede seines Lebens halten, weshalb gleich Parallelen gezogen wurden zum Auftritt Slobodan Miloševićs, der 1989 auf dem Kosovo Polje, dem Amselfeld, ebenfalls einen großen Auftritt hatte. Er entfachte damals den serbischen Nationalismus, von dort aus führte der Weg in die Katastrophe der Balkankriege der Neunzigerjahre. Fast drei Jahrzehnte später wird noch immer an einer nachhaltigen Befriedung des Balkans gearbeitet - und Vučić kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

Er soll sein Land in die Europäische Union führen, und auch in Mitrovica versicherte er seinen Zuhörern: "Wir sind auf dem Weg in die EU." Doch dieser Weg führt nur über eine Aussöhnung mit den Albanern im Kosovo, die sich 1999 von Belgrad im Krieg getrennt und 2008 einseitig ihre Unabhängigkeit erklärt hatten. "Lösungen sind nicht in Sicht", verkündet Vučić nun - und spricht von einem Zeithorizont von zehn, vielleicht auch fünfzig Jahren. Doppelbotschaften sind eine Spezialität des serbischen Präsidenten, und so mischt er auch hier sein Bekenntnis zur EU mit einer Freundschaftsbekundung zu Russland. Er lobt Miloševic, dem er im Kosovokrieg als Propagandaminister diente, als "großen Führer" mit "reinen Absichten". Zugleich kritisiert er ihn dafür, keinen Blick für die Realitäten gehabt zu haben, weshalb Serbien zum Verlierer geworden sei. Ein Fehler und eine Illusion sei es gewesen zu glauben, die Serben seien besser und klüger als andere, räumt er ein - und verspricht, sein Land zu neuer Größe zu führen, ohne dass ein Tropfen Blut vergossen wird.

Mit populistischem Pathos zielt all das zwar auf die Herzen seiner Zuhörer. Aber es bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, die Vučić selbst geschürt hatte. Schließlich hatte er gemeinsam mit seinem kosovarischen Amtskollegen Hashim Thaçi aufhorchen lassen mit Plänen für einen Gebietsaustausch, der die Konfliktlinien begradigen sollte. Demnach könnten die serbisch besiedelten Regionen im Nord-Kosovo Belgrad zugeschlagen werden und im Gegenzug albanische Gebiete in Südserbien zu Kosovo kommen. In Mitrovica aber behauptet Vučić nun, es sei "eine Lüge", dass er die Grenzen antasten wolle. Der Präsident dreht alles wieder auf Anfang.

Düstere Wolken über dem vermeintlichen Aussöhnungsprozess waren schon am Freitag aufgezogen. Vučić und Thaçi waren zu einem Treffen mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini in Brüssel erschienen, es sollte um die möglichen Grenzkorrekturen gehen. Doch zu einem gemeinsamen Gespräch kam es nicht. Vučić reiste schon am Mittag wieder ab, aus Belgrad hieß es, das sei die Antwort auf "all die Täuschungen, Drohungen und Lügen durch die Kosovo-Albaner". Sogar eine Absage der mit Aplomb angekündigten Kosovo-Reise hatte im Raum gestanden, bis Vučić schließlich am späteren Freitagabend vor das Fernsehvolk trat und den Termin von Reise und Rede bestätigte.

Der Hintergrund dieses Verhandlungstheaters dürfte in der serbischen ebenso wie in der kosovarischen Innenpolitik liegen. Die serbischen Nationalisten, aus deren Reihen Vučić selbst stammt, lehnen jeden Kompromiss um Kosovo als Verrat ab und werden dabei von der orthodoxen Kirche unterstützt. Auf der anderen Seite findet auch Thaçi kaum Rückhalt für eventuelle Gebietsabtretungen, weder bei seiner Regierung, noch bei der Opposition.

Vor der Rede kam es dann bei einem geplanten Besuchs Vučićs in einer serbischen Enklave westlich der Kosovo-Hauptstadt Pristina zu Krawallen. Mit Straßensperren verhinderten aufgebrachte Albaner einen Besuch des serbischen Präsidenten im Dorf Banje. Er machte kehrt und fuhr zurück nach Mitrovica. Dort warteten schon die mit Bussen herangekarrten Anhänger. Eine Stunde spricht der Präsident dann über Konflikte und Kompromisse, bevor er zum Ende kommt mit den Worten: "Lang lebe Serbien".

Mitarbeit: Zoran Opra

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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