Baden-Württemberg:Züge eines Aufstands

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Die Regierungskoalition in Stuttgart steckt in einer tiefen Krise, doch der Graben verläuft nicht zwischen Grün und Schwarz, sondern mitten durch die CDU. Der Kampf wird mit aller Verbitterung geführt.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Thomas Strobl (li.), Innenminister und CDU-Landeschef im Südwesten, und der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Reinhart bekämpfen sich erbittert. (Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Er sei guter Dinge, sagte Thomas Strobl, der stellvertretende Ministerpräsident von der CDU, als er am Dienstagmittag in Stuttgart eintraf. Er war vorzeitig von einer Regierungsreise nach Brüssel heimgekehrt, um die Krise der grün-schwarzen Koalition einzudämmen. Das 2016 geschlossene Bündnis ist in schweres Fahrwasser geraten, das klingt nicht überraschend, denn die Differenzen zwischen den Partnern sind erheblich. Das Spektakuläre an dieser Koalitionskrise ist: Der Graben verläuft zwischen CDU und CDU. Grün-Schwarz ist zur Dreiparteien-Koalition mutiert. Und auch nach dem mehrstündigen Krisentreffen Strobls mit der eigenen Fraktion kann man nicht sicher sein, ob der Laden nicht demnächst auseinanderfliegt.

Fast zwei Jahre lang regierte Grün-Schwarz ruhig vor sich hin, doch alles ist anders, seitdem die CDU-Fraktion vorige Woche einstimmig beschloss: Die im Koalitionsvertrag mit den Grünen verabredete Wahlrechtsreform sei mit ihr nicht zu machen. Ein Affront gegen die Grünen, aber mehr noch ein Affront gegen Strobl. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende propagiert in seiner Eigenschaft als Landes-Chef die Modernisierung der CDU. Dazu zählt er ausdrücklich die Frauenförderung. Die Wahlrechtsreform soll genau diesem Zweck dienen: Durch die zusätzliche Einführung eines Listensystems würden die Landesparteien die Möglichkeit erhalten, Frauen den Weg in den Landtag zu ebnen ( siehe Kasten unten). Gerade die CDU hat Nachholbedarf, mit einem Frauenanteil von weniger als zwanzig Prozent. Die CDU-Fraktion verteidigt nun das reine Direktmandat als basisdemokratische Errungenschaft. Die Art und Weise, wie sie das unter Führung von Wolfgang Reinhart tut, trägt aber die Züge eines Aufstands.

Reinhart ist ein politischer Routinier, mit Gespür für die Befindlichkeit der ländlichen, konservativen Abgeordneten in der Fraktion. Die fürchten, durch eine Landesliste bei der nächsten Wahl ihre Mandate an Frauen zu verlieren oder an Kandidaten aus Großstädten, wo die CDU kaum noch Direktmandate gewinnt. Warum aber hat Reinhart nicht das Gespräch mit Strobl und den Grünen gesucht? Er gilt als extrem eitel und ehrgeizig, soll Ambitionen hegen, die CDU bei der nächsten Wahl als Spitzenkandidat anzuführen. Der Verdacht liegt nahe: Er will Strobl demontieren. Der hat in der Fraktion keine Hausmacht, gilt als Merkel-Jünger und steht im Verdacht, er würde am liebsten in die Bundespolitik zurückkehren, die er vor zwei Jahren verlassen hat. Ein kleiner, aber harter Kern der Fraktion, der die grün-schwarze Koalition grundsätzlich ablehnt, würde ihn lieber heute als morgen loswerden.

Strobl gegen Reinhart: Der Kampf wird mit aller Erbitterung geführt. Der Parteivorsitzende weiß die modernen Kräfte der CDU hinter sich. Zwei Bezirksverbände haben sich öffentlich gegen Reinhart gestellt, ebenso Teile der Jungen Union. Die Frauen-Union pocht vehement auf die Reform und kämpft in der Frage Seite an Seite mit der grünen Landespartei. In einer Telefonkonferenz des Präsidiums sah sich Wolfgang Reinhart am Montag heftiger Kritik ausgesetzt: Er brüskiere die CDU-Frauen, schade dem Ansehen der Partei. Strobl machte deutlich, eine Koalition sei keine Koalition mehr, wenn ein Partner einseitig Verabredungen aufkündige.

Am Dienstag schien Strobl die Retourkutsche zu bekommen. Noch bevor er vor den Abgeordneten seiner Partei erschien, ließ der Fraktionsvorstand eine Erklärung verbreiten: Strobl wurde aufgefordert, für ein Ende "unsäglicher Diskussionen" in der Partei zu sorgen. Dies sei eine "klare Erwartungshaltung". Wolfgang Reinhart sagte, er erwarte, dass die CDU-Regierungsmitglieder, also auch Strobl, die Haltung der Fraktion "nach außen vertreten". Er wolle auch die CDU-Basis für diese Haltung mobilisieren. Von Einlenken keine Spur. Am Ende der Krisensitzung stand das vage Versprechen, künftig wieder "an einem Strang zu ziehen".

Im Umfeld von Ministerpräsident Kretschmann hoffen sie auf ein reinigendes Gewitter in der CDU

Für diesen Mittwoch hat die SPD die Koalitionskrise auf die Tagesordnung des Landtags setzen lassen. Thema: "Der grün-schwarze Stuhlkreis - therapieren statt regieren". Es wird erwartet, dass sich die CDU-Fraktion als im weitesten Sinn "gesprächsbereit" gegenüber allen Fraktionen zeigen wird, um die Lage erst einmal zu entschärfen. Bis Sommer 2020 müsste die Reform beschlossen sein, damit sie bei der Landtagswahl 2021 greifen kann. Auch in der grünen Fraktion sind nicht alle überzeugt vom Sinn der Wahlrechtsreform. Von Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist bekannt, dass er ein Freund des Direktmandats ist. Aber natürlich pocht er im Namen seiner Partei auf den Koalitionsvertrag. Ein grün-schwarzer Arbeitskreis soll die vor zwei Jahren geschlossene Vereinbarung nun auf strittige Themen abklopfen. Ob dabei auch noch einmal über das Wahlrecht gesprochen wird? Gerne reden, sagt Reinhart, aber an der Haltung seiner Fraktion werde sich nichts ändern.

Bei den Grünen können manche die Entwicklung kaum fassen. Sie stehen glänzend da mit einer Frauenquote im Parlament von fast 50 Prozent, mit einer türkischstämmigen Parlamentspräsidentin und einem beliebten Regierungschef - als Hort der Verlässlichkeit in der Regierung, während, wie einer aus der Regierung bemerkt, die CDU streite wie die Grünen in den Achtzigerjahren. An strategische Geländegewinne mit Blick auf die Landtagswahlen 2021 glaubt man nicht; Streit in der Regierung würde allen schaden. Deshalb hofft man in der Umgebung des Ministerpräsidenten eher auf ein reinigendes Gewitter in der CDU. Damit aus Grün-Schwarz tatsächlich eine ZweiparteienRegierung wird.

© SZ vom 31.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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