Baden-Württemberg:Dame, König, Asyl

Lesezeit: 3 min

Für Integration gibt es in Stuttgarts grün-roter Regierung eine eigene Ministerin. Doch Ministerpräsident Kretschmann packt lieber selber an.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Bilkay Öney, 45, gilt seit vergangenem Sommer als Gesicht einer menschenfreundlichen Asylpolitik in Baden-Württemberg. Der Integrationsministerin war es gelungen, Menschen in kleinen Städten wie Ellwangen oder Meßstetten die Angst vor großen Flüchtlingsunterkünften zu nehmen. Sogar die Opposition zollte Respekt: Die von SPD-Landeschef Nils Schmid aus Berlin geholte, ehemals grüne Politikerin hatte ihre Rolle gefunden, nachdem sie zuvor mit ihrer schnoddrigen Art immer wieder angeeckt war. Die CDU stellte sogar einen Misstrauensantrag, weil sie sich von der Ministerin rassistisch verunglimpft fühlte. Grün-Rot schmetterte den Antrag ab. Kretschmann sagte damals, er schätze die "unverstellte Sprache" Öneys.

Es war nun kein gutes Zeichen, dass Ministerpräsident Kretschmann am vergangenen Freitag spontan nach Heidelberg reiste, um Wogen zu glätten, die seine Ministerin dort aufgeworfen hatte. Im Patrick-Henry-Village, einer ehemaligen Wohnsiedlung für US-Militärangehörige, sollten übergangsweise 1000 Asylbewerber untergebracht werden. Das war der Plan. Doch nun halten sich dort aber mehr als 2500 Menschen auf. Die Anwohner fühlen sich belästigt. Unmittelbar vor der Bürgerversammlung zu dem Thema sprach Öney in ihrer halbironischen Art davon, die Heidelberger seien eben "schwarze Köpfe" nicht gewohnt. Entsprechend geladen war die Stimmung. Und weil Ministerin Öney keine konkreten Zusagen machen wollte, um die Not zu lindern, wurde sie ausgebuht und ausgepfiffen. Selbst sozialdemokratische Parteifreundinnen und Parteifreunde zeigten sich empört.

Der Regierungschef will in der Asyl-Frage Frieden im Land

Also kam Kretschmann. Gemeinsam mit Öney besichtigte er das Patrick Henry Village und versprach Hilfe. Das Land werde einen Busdienst für die Asylbewerber einrichten. Außerdem sollen Toiletten und Bänke entlang der Fußwege in die Stadt aufgestellt werden. Innerhalb der Anlage sollen weitere ehemalige Wohngebäude saniert werden. Um solche Dinge kümmert sich der Ministerpräsident derzeit persönlich. Er will in der Flüchtlingsfrage Frieden im Land. Gerade vor dem baden-württembergischen Flüchtlingsgipfel an diesem Montag konnte er keine zusätzlichen Verwerfungen gebrauchen. Er will alle in die Pflicht nehmen: Opposition, Kreise und Kommunen, Kirche, Wirtschaft und Gewerkschaften. Öneys Auftritt war nicht gerade hilfreich gewesen.

"Die beste Flüchtlingspolitik in Deutschland" hat sich die grün-rote Regierung Kretschmann zum Ziel gesetzt. Und nach der Krise des vergangenen Sommers hat sie tatsächlich viel auf den Weg gebracht. Die Zahl der Plätze in den Landeserstaufnahmestellen wurde verzehnfacht, von 900 auf 9000. Für die in kürzester Zeit aus dem Boden gestampfte Einrichtung in Meßstetten gab es Lob allenthalben. Die Hilfsbereitschaft der Einwohner auf der Schwäbischen Alb galt als beispielgebend. Bilkay Öney lobte die Meßstettener als "Mutbürger". Doch nun ist alles, was großzügig geplant erschien, zu klein geworden. Mehr als 50 000 Flüchtlinge wird Baden-Württemberg in diesem Jahr wohl aufnehmen müssen, mehr als doppelt so viele als vergangenes Jahr. Und die Regierung muss sich des Vorwurfs erwehren, die Entwicklung verschlafen zu haben. Überbelegte Erstaufnahmestellen allenthalben, in Meßstetten und Ellwangen hagelt es Beschwerden wie in Heidelberg. Nirgendwo kann die zugesicherte Höchstgrenze eingehalten werden. Um die Aufnahmestelle in Ellwangen zu entlasten, wurde am vergangenen Wochenende sogar ein Zeltlager aufgebaut, direkt neben der Autobahn. Es soll ein Provisorium bleiben.

Öneys Ministerium beschäftigt nur 60 Mitarbeiter

Mit einem Bündel von Versprechen gingen Kretschmann und Öney gemeinsam in den Flüchtlingsgipfel. Die Plätze zur Erstaufnahme sollen bis Herbst um mehr als 5000 aufgestockt werden, noch einmal 5000 Plätze sollen im Lauf des Jahres 2016 hinzukommen. Weil die Kreise dringend Unterkünfte suchen, will Kretschmann Landesliegenschaften kostenlos anbieten. Wirtschafts- und Finanzminister Schmid will ein Wohnungsbauprogramm auflegen. Zudem soll eine Task Force eingerichtet werden. Ihr sollen die Amtschefs der Ministerien Integration, Finanzen, Inneres und Staatsministerium angehören, sie soll in allen Fragen der Flüchtlingsunterbringung entscheidungsbefugt sein. Ist Bilkay Öney damit entmachtet?

Die Opposition hat das Integrationsministerium von Anfang an als überflüssig bezeichnet. Der Landesrechnungshof kritisierte vor einigen Wochen, das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimme nicht bei dem einzigen eigenständigen Integrationsministerium Deutschlands, ausgestattet mit lediglich 60 Mitarbeitern. Wenn, dann müsse es jenseits der Integrationspolitik zusätzliche Aufgaben bekommen. Auch die Ministerin selbst spricht sich für eine Aufwertung des Ressorts aus, nach dem Vorbild des "Ministeriums für Generationen, Familien, Frauen und Integration", das es seit 2005 in Nordrhein-Westfalten gibt. Aber das ist Zukunftsmusik.

Bis zur Wahl 2016 wird sich Bilkay Öney mit der Flüchtlingskrise zu beschäftigen haben. In Fragen der Unterbringung hat sich schon Kretschmanns Staatsministerium eingeschaltet. Öney kommt die Rolle der Botschafterin zu. Sie scheute sich bislang nicht, auch Fehlverhalten von Flüchtlingen zu kritisieren und verstand es, auch CDU-Kommunalpolitiker einzubinden. Der Ministerpräsident muss darauf hoffen, dass sie nach der Heidelberger Episode wieder Tritt fasst.

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: