Automobil-Industrie:Alarm in Dieselland

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Die Hersteller müssen reagieren. Sie wissen aber nicht so recht, wie.

Von Thomas Fromm

In der Autoindustrie war man auf alles gefasst, und als das Urteil kam, sagte einer aus der Branche, es gebe noch Hoffnung. Schließlich tauche das Wort "verhältnismäßig" in der Urteilsbegründung immer wieder auf. Übergangsfristen, Ausnahmeregelungen - dazu die Ablehnung von Fahrverboten in weiten Teilen der Politik: Vielleicht, so glauben sie in den Führungsetagen der deutschen Autobauer offenbar, wird es am Ende gar nicht so schlimm. Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), schreibt: Das Bundesverwaltungsgericht habe kein "Muss" für Fahrverbote ausgesprochen. "Vielmehr hält das Gericht Diesel-Fahrverbote in Städten nach geltendem Recht für 'grundsätzlich zulässig', sie müssen aber verhältnismäßig sein und kommen nur als letztes Mittel in Frage."

Allerdings: Auch die Befürworter von Fahrverboten verbuchen das Urteil als ihren Sieg. Nutzen die Städte nun ihre Möglichkeiten, Fahrverbote zu verhängen, das wissen die Konzernstrategen, wird sich im einstigen Dieselland Deutschland die Lage dramatisch zuspitzen. Einziger Ausweg: Man rüstet ältere Diesel mit neuen Filtern nach, aber das kann einige Tausend Euro pro Fahrzeug kosten. Manager wie Audi-Chef Rupert Stadler lehnen solche Maßnahmen daher ab.

Schon seit der VW-Dieselaffäre, die im Herbst 2015 begann, ist der Ruf des Dieselantriebs dahin. Im vergangenen Jahr wurden deshalb weniger Selbstzünder verkauft als in den Jahren davor - nur vier von zehn Neuwagen hatten noch einen Dieselmotor; der Dieselanteil sank auf den niedrigsten Stand seit 2009. Das Dilemma ist kaum zu übersehen: Bei den großen Herstellern wie Audi, Daimler oder BMW waren in den vergangenen Jahren 60 bis 80 Prozent der verkauften Neuwagen in Deutschland Diesel - die Abhängigkeit ist immens. Gerade das macht das Urteil von Leipzig so brisant. Die Industrie steht schneller als geplant vor einem der größten Umbrüche ihrer Geschichte. Und Autos mit alternativen Antrieben möglicherweise vor dem großen Durchbruch.

Allein die Debatte um drohende Fahrverbote hat zu gewaltigen Verschiebungen auf dem Neuwagenmarkt geführt. Der Marktanteil von Dieselfahrzeugen schrumpfte binnen eines Jahres in Deutschland von 45 auf 33 Prozent im vergangenen Januar. Der Branchenverband VDA, aber auch die Gewerkschaft IG Metall erwarten, dass das Leipziger Urteil diesen Trend noch beschleunigen wird.

Die wichtigste deutsche Industrie mit etwa 800 000 Arbeitsplätzen stellt das vor große Herausforderungen. Sie sieht nicht nur viele Jobs in Gefahr. Auch die Einhaltung ihrer Flottengrenzwerte beim CO₂ und damit die Klimaschutzziele der Hersteller sind ohne den Diesel bedroht. Wenn jetzt viele Kunden wieder auf Benziner umsteigen, würde das zu höheren Werten beim Ausstoß des Klimagases führen. Verfehlen die Hersteller deshalb aber die EU-Vorgaben, drohen ihnen Milliardenstrafen. Ein Teufelskreis.

Ihr gemeinsames Zentrum zur Abgasforschung machen die deutschen Autobauer dicht

Doch der Ausstieg hat schon begonnen, und er geschieht schleichend. So wurde bekannt, dass der Sportwagenbauer Porsche fürs Erste keine Dieselautos mehr bauen will. Modelle wie den Panamera gibt es derzeit nur noch als Benziner oder Plug-in-Hybrid. Und in Weissach, dem Standort der Abgasforscher der deutschen Autoindustrie, soll bald nicht mehr gemeinsam getüftelt werden. Das Abgaszentrum der Automobilindustrie ist ein Gemeinschaftsunternehmen, in dem Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Daimler mehr als 20 Jahre lang zusammen geprüft haben, was bei ihren Verbrennungsmotoren hinten rauskommt. Das Ende des gemeinsamen Projekts könnte damit zu tun haben, dass den Autobauern seit einiger Zeit vorgeworfen wird, ein Kartell gebildet zu haben. Es könnte auch im Zusammenhang stehen mit den jüngst bekannt gewordenen Abgasversuchen an Affen und Menschen. Oder aber schlicht damit, dass bald vielleicht keine Dieselautos mehr durch deutsche Städte fahren dürfen.

Wenn eines Tages immer mehr Autos auf den Straßen rollen, die elektrisch und abgasfrei fahren, dann werden auch Abgaszentren irgendwann überflüssig. Und wenn es immer schwieriger wird, Diesel-Limousinen und Diesel-SUVs zu verkaufen, weil keiner mehr mit Sicherheit sagen kann, ob man morgen noch damit in die Stadt kommt, dann braucht man vorläufig auch keine solchen Autos anzubieten. Was die Sache zum Beispiel für Porsche erleichtert: In vielen Gegenden der Erde - zum Beispiel in den USA, im Mittleren Osten und auch in China - war der Dieselmotor nie so richtig angekommen. Es geht also zur Not auch ohne.

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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