Australien:"Ein Zeuge der Wahrheit"

Ein Gericht bestätigt das Urteil gegen Kardinal George Pell. Der frühere Vatikan-Finanzchef bleibt wegen sexuellen Missbrauchs in Haft.

Von Jan Bielicki

Australien: In Handschellen wurde die einstige Nummer drei des Vatikan, der australische Kardinal George Pell, zum Gericht geführt.

In Handschellen wurde die einstige Nummer drei des Vatikan, der australische Kardinal George Pell, zum Gericht geführt.

(Foto: William West/AFP)

In Handschellen wurde der Kardinal am Mittwoch aus einen Hinterausgang des Obersten Gerichtshofs des australischen Bundesstaates Victoria geführt. Dann musste sich George Pell wieder dahin zurückfahren lassen, wo er bereits die 175 Nächte zuvor verbracht hatte - in seine Einzelzelle im Untersuchungsgefängnis an der Spencer Street, gleich neben Melbournes Hauptbahnhof.

Nur wenige Minuten zuvor hatte das Gericht den Schuldspruch bestätigt, den eine Jury im vergangenen Dezember getroffen hatte. Zwei der drei Berufungsrichter befanden, die Juroren der Vorinstanz hätten keinen Fehler gemacht, als sie Pell für schuldig erklärten, 1996 und 1997 als Erzbischof von Melbourne zwei 13-jährige Chorknaben missbraucht zu haben. Damit muss Pell weiter die sechsjährige Haftstrafe absitzen, zu der ihn ein Bezirksgericht verurteilt hätte. Der 78-jährige Kardinal, 2014 von Papst Franziskus zum Finanzchef im Vatikan und damit zur Nummer Drei in der kirchlichen Verwaltungshierarchie erhoben, ist der ranghöchste katholische Würdenträger, der wegen sexuellen Missbrauchs hinter Gitter kam.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts kam für viele Juristen überraschend. Pells Anwälte hatten die Berufung gegen den Schuldspruch vor allem damit begründet, dass die Jury "vernünftige Zweifel" an der Aussage des Hauptbelastungszeugen gehabt haben müsse. Der Mann hatte vor den Juroren geschildert, wie Pell ihn und einen zweiten Chorknaben in der Sakristei der Melbourner St.-Patrick-Kathedrale sexuell bedrängt und einen von ihnen zum Oralsex gezwungen hatte. Allein auf seiner Aussage beruhten die Anklage und der Schuldspruch gegen Pell. Das zweite Opfer war 2014, lange vor Beginn der polizeilichen Ermittlungen, an einer Überdosis Heroin gestorben und hatte zu Lebzeiten nie über die sexuellen Übergriffe geredet.

Zwei der drei Berufungsrichter sind überzeugt, dass das Opfer kein Fantast ist

Doch in der via Internet übertragenen Urteilsbegründung zeigten sich zwei der drei Berufungsrichter davon überzeugt, dass Pells Opfer "kein Fantast, sondern ein Zeuge der Wahrheit" sei. "Er hat nicht versucht, sein Zeugnis auszuschmücken oder es in einer der Anklage dienlichen Weise zu schneidern", sagte die Vorsitzende Richterin Anne Ferguson. Dagegen befand der dritte Richter in seinem abweichenden Minderheitsvotum, es habe genügend Belege gegeben, die nahelegten, dass die Erzählungen des Zeugen "unmöglich zu akzeptieren" seien und eine "signifikante Möglichkeit" bestehe, dass "der Kardinal die Taten nicht begangen haben könnte".

Das Opfer selbst äußerte sich "erleichtert" über den Ausgang des Prozesses. Er habe mit seiner Anzeige "meine Privatheit, meine Gesundheit, mein Wohlergehen und meine Familie riskiert", ließ der Mann seine Anwältin erklären. Das Verfahren habe ihn "an Orte gebracht, von denen ich in meinen dunkelsten Momenten fürchtete, nicht zurückzukommen".

Während vor dem Gerichtsgebäude Opfer priesterlichen Missbrauchs und ihre Freunde in Jubel ausbrachen, gaben sich Kirchenvertreter wortkarg. Man nehme die Gerichtsentscheidung "zur Kenntnis", erklärte der Vatikan-Chefsprecher Matteo Bruni in einer kurzen Verlautbarung. Er erinnerte an das Recht des Kardinals, der "immer seine Unschuld betont" habe, Revision vor dem obersten Bundesgericht zu beantragen. Der Heilige Stuhl, so hieß es weiter, bekräftige "seine Verbundenheit mit den Opfern sexuellen Missbrauchs und seine Verpflichtung, die Mitglieder des Klerus, die solchen Missbrauch begehen, durch die zuständigen kirchlichen Behörden zu verfolgen". Das Bulletin sagte nicht, welche Konsequenzen der Vatikan aus dem Urteil für Pell zieht, der im vergangenen Februar sein Amt als Finanzchef verlor, nicht aber seine Kardinalswürde. Melbournes Erzbischof Peter Comensoli bot dem Opfer "seelsorgerische und spirituelle Hilfe" an. Diese werde auch Pell gewährt.

Pell selbst ließ seine Anwälte erklären, er bestehe auf seiner Unschuld. Seine Rechtsberater wollen prüfen, ob sie Revision vor dem obersten Bundesgericht in Australiens Hauptstadt Canberra beantragen. Es liegt jedoch in der Hand der Bundesrichter, ob sie ein solches Verfahren überhaupt führen wollen. In der Vergangenheit haben sie mehrmals in ähnlichen, wenn auch weniger prominenten Missbrauchsfällen Urteile aus Victoria gekippt - allerdings nur dann, wenn diese die Sexualtäter davonkommen ließen.

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