Außenpolitik:Vor dem Trümmerhaufen

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Könnte auf viele alte Bekannte aus der Zeit von Barack Obama zurückgreifen: Joe Biden, hier beim Wahlkampf in Pennsylvania. (Foto: Andrew Harnik/AP)

Die US-Regierung hat das Außenministerium systematisch ausgezehrt und damit dem eigenen Einfluss in der Welt geschadet. Die große Frage für die Demokraten ist: Wie geht man damit um?

Von Stefan Kornelius

Zumindest in einem Punkt sind sich die Umfragen im US-Wahlkampf einig: Außenpolitik wird in der Entscheidung der Wähler keine wichtige Rolle spielen. Der Einfluss des Landes in der Welt, Fragen von Handel und Sicherheit, Umgang mit Freund und Feind - was auch immer die Welt in den vergangen vier Jahren in Atem gehalten hat, treibt in Amerika keine Wähler an die Urne.

Und so bringen die Kontrahenten Donald Trump und Joe Biden im Wahlkampf keine Energie für die Außenpolitik auf. Beim amtierenden Präsidenten verwundert das nicht - Trumps aggressiver Isolationismus war so erfolgreich, weil der Präsident Außenpolitik nach Instinkt und nach Laune betreibt. Joe Biden muss sich hingegen aus taktischen Gründen zurückhalten. Stellte der Kandidat seine Erfahrung in der Außenpolitik zur Schau, machte er sich angreifbar. Die Wähler schauen auf die inneren Probleme des Landes, die restliche Welt stört da nur.

In Bidens Umfeld gibt es zwei Lager, die um die grundsätzliche Linie streiten

Dabei gibt es kaum ein Thema, bei dem Biden und seine Berater eine größere Expertise mitbringen. "Er ist der Kandidat mit der höchsten Affinität für Europa und die Welt seit George H. W. Bush", sagt Thomas Wright, ein Politikanalyst beim Thinktank Brookings. Das gilt auch für seinen Beraterstab, der angeführt wird von Tony Blinken, der sein Leben an der Seite von Biden verbracht hat und zuletzt stellvertretender Außenminister in der Amtszeit von Barack Obama und Biden war.

Überhaupt wird man bei Biden viele alte Bekannte treffen, sollte er ins Weiße Haus einziehen. Jake Sullivan, Susan Rice, Chris Coons, Michèle Flournoy, Julie Smith - die Kandidaten für Regierungsämter in der Außen- und Sicherheitspolitik hatten schon alle unter Obama Schlüsselpositionen inne und standen ebenfalls in der ersten Reihe, als Hillary Clinton vor vier Jahren kandidierte.

Allerdings können sie trotz ihrer großen Erfahrung nicht verbergen, dass es im Biden-Orbit mindestens zwei Lager gibt, die um die Generallinie streiten: die Restauratoren und die Reformer. In der ersten Gruppe finden sich Außenpolitiker, die weitgehend nahtlos an die Obama-Präsidentschaft anknüpfen und den Schaden aus den vier Trump-Jahren ausbessern wollen. Sie sehen für ihr Land eine aktive, aber keine dominante Rolle in der Welt, sie wollen dem harten Zweikampf mit China aus dem Weg gehen und in Nahost den alten Einfluss wieder herstellen. Die Reformer-Gruppe akzeptiert hingegen, dass seit Trump neue Spielregeln gelten. Ihre Linie gegenüber China wird härter sein, multilaterale Handelsverträge sind nicht notwendigerweise ihr Ziel und den amerikanischen Machtverlust etwa in Nahost würden sie zunächst einmal akzeptieren. Eine Rückkehr: zu aufwendig und sinnlos.

Fraglich ist, wo der Kandidat selbst steht. Brookings-Experte Thomas Wright sagte beim "Bergedorfer Gesprächskreis" der Körber-Stiftung am Wochenende: "Biden ist immer noch ein Rätsel. Er malt mit dem groben Pinsel, der feine Strich ist noch nicht zu erkennen."

Bis sich die Konturen abzeichnen, wird einige Zeit vergehen, so weit ist sich die Fachgemeinde sicher. Schon unter Obama waren die internen Abstimmungsprozesse legendär zermürbend. Zwar hat Biden eine Reihe von Schnellentscheidungen angekündigt: die Rückkehr der USA in den Pariser Klimavertrag, in das Iran-Nuklearabkommen, die Weltgesundheitsorganisation und die Unesco; auch könnte sehr zügig eine Vereinbarung mit Russland zur kurzfristigen Verlängerung der Rüstungskontrolle für strategische Nuklearwaffen unterzeichnet werden. Erwartet wird, dass Biden bald zu einer "Konferenz der Demokratien" einlädt, um seine prinzipielle Hinwendung zu Bündnissen und die Abkehr von Trumps autokratischem Stil zu demonstrieren. Aber danach beginnt erst die Arbeit.

Das gilt vor allem für die Europäer. Wer von Biden die Rückkehr zu einer alten transatlantischen Seligkeit erhofft, wird sich wundern. "Wenn Biden die Wahl gewinnt, sollte Europa besonders in Sicherheitsfragen ein konkretes Angebot vorlegen", warnt Charles Kupchan, der unter Obama im Weißen Haus für die Europapolitik zuständig war. "Biden ist ein leidenschaftlicher und überzeugter Atlantiker. Aber er wird seinen Wähler beweisen wollen, dass die Vereinigten Staaten davon profitieren, wenn sie wieder im Team spielen", sagte Kupchan ebenfalls beim Bergedorfer Gesprächskreis.

Ob unter Trump oder Biden, das wichtigste Thema wird der Umgang mit China sein. Das bedeutet aus der Sicht Washingtons wirtschaftliche Entflechtung und mehr militärische Abschreckung - inklusive eines Krisenplans für Taiwan. Auch unter Biden muss sich der europäische Teil der Nato darauf einstellen, mit Forderungen nach der Entsendung von Marineeinheiten konfrontiert zu werden.

Madeleine Albright, ehemalige Außenministerin der USA. (Archivbild von 2019) (Foto: Sebastian Gabriel)

Die Politik eines siegreichen Trump nimmt sich dagegen fast schon simpel aus: mehr vom Selben. Außenpolitisch bedeutet das vor allem mehr Chaos und Selbstzerstörung. Die vergangenen Monate waren in Washington von einer beispiellosen Demontage des außenpolitischen Apparats gekennzeichnet. Fast verzweifelt klagte die frühere Außenministerin Madeleine Albright: "Man kann doch keine Diplomatie ohne Diplomaten machen. Man kann doch im Außenministerium keinen Kahlschlag von Leuten veranstalten, die wissen, wie das geht."

Albright aber wurde eines Besseren belehrt. Zum Kahlschlag der Trump-Präsidentschaft gehört nämlich, dass neben dem Beamtenapparat im Justizministerium auch der außenpolitische Apparat im State Department weitgehend zerschlagen wurde - und der Betrieb trotzdem weiterlaufen musste. Mehr als einhundert der 700 Top-Beamten haben das Ministerium freiwillig oder gezwungenermaßen verlassen, ein Drittel des operativen Budgets wurde eingespart und ein Einstellungsstopp über fast zwei Jahre hat zu einem ernsten Nachwuchsproblem geführt. In den Trump-Jahren hat sich die Zahl der Bewerber für den diplomatischen Eingangstest mehr als halbiert auf 9000. Der Führungsnachwuchs aus den eigenen Reihen füllt nur noch acht Prozent der Spitzenposten, der Rest wird entweder von externen Trumpianern besetzt oder bleibt vakant. Üblicherweise lag die Quote der sogenannten Karrierediplomaten auf der Ebene der Hauptabteilungsleiter oder deren Stellvertreter bei 60 Prozent. Nominierungen werden regelmäßig im Kongress blockiert, und selbst wenn die Bürokratie noch funktionieren sollte - sie wird nicht genutzt.

Entschieden wird nur von einem kleinen Kreis von Vertrauten

Die klassischen Entscheidungswege der Außenpolitik im sogenannten innerministeriellen Prozess zwischen Weißem Haus und Ministerien ist zum Stillstand gekommen. Entschieden wird nun von einem kleinen Kreis von Vertrauten. Als der Generalinspekteur des Außenministeriums, Steve Linick, einen angeblichen Amtsmissbrauch von Minister Mike Pompeo untersuchen wollte, wurde er kurzerhand von Präsident Trump gefeuert. Die Untersuchung wird jetzt vom Kongress fortgesetzt.

William J. Burns, Karrierediplomat in republikanischen und demokratischen Regierungen und zuletzt stellvertretender Außenminister in der Obama-Präsidentschaft, beklagt, dass die politische Polarisierung die US-Diplomatie infiziert und damit deren überparteiliche Aufgabe zerstört habe. "Pompeo ist der parteiischste Minister, so weit man sich erinnern kann." Das Problem: Sollte Trump wiedergewählt werden, könnte das Verteidigungsministerium und damit das Militär als die letzte Bastion der Neutralität fallen. Im Gespräch als Minister ist: Mike Pompeo.

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