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Alexander Kritikos, 50, ist Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). (Foto: Bettina Keller)

Auslandsgriechen können zum Wiederaufstieg ihrer alten Heimat beitragen. Man muss sie nur lassen.

Von Alexander Kritikos

Seit sechs Monaten wird nun über den Grexit diskutiert und gestritten. In der Debatte um Schuldenlast und den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ist völlig in Vergessenheit geraten, dass Griechenland auch eine reale Wirtschaft hat. Die befindet sich dank des drohenden Grexit, dank geschlossener Banken und Kapitalverkehrskontrollen mittlerweile kurz vor dem Kollaps.

Die reale Wirtschaft Griechenlands ist bekannt für Agrarprodukte, Tourismus und Einnahmen aus der größten Handelsflotte der Welt. Wenige wissen aber, dass Griechenland auch gesegnet ist mit herausragenden Forschern, einer Vielzahl von ideenreichen Unternehmern und sehr gut ausgebildeten Fachkräften. Nur verlassen sie derzeit in Scharen ihr Land. Statt Produkte und Dienstleistungen auszuführen und damit Wohlstand im Land zu erzeugen, exportiert Griechenland sein Potenzial und seine Ideen; und andere Länder - auch Deutschland - profitieren davon in erheblichem Maße.

Ein Beispiel: Drei Prozent aller Top-Forscher in der Welt sind Griechen (während der Anteil der Griechen in der Welt nur rund 0,15 Prozent beträgt). Leider findet sich jedoch nur jeder neunte Top-Forscher im Land selbst. Mit jedem weiteren Top-Forscher würde die Wahrscheinlichkeit für technische Neuerungen und für erfolgreiche Investitionen in Forschung und Entwicklung steigen.

Warum das Land so unattraktiv für diese Menschen ist, liegt auf der Hand: ein ineffizienter Staatsapparat, überbordende Bürokratie und zahllose, sich widersprechende Vorschriften und Steuergesetze, die Unternehmer und private Investoren davon abhalten, ihre Ideen in Griechenland zu Produkten zu machen oder ihr Geld dort zu investieren. Es fehlt an Risikokapital und am institutionellen Umfeld, das vor allem innovative unternehmerische Aktivitäten unterstützt. Vieles davon könnte nun im Rahmen des dritten Reformpakets zum Besseren gewendet werden. Allein, es fehlt derzeit vielen der Glaube, dass die Reformvorschläge dieses Mal besser umgesetzt werden.

Insgesamt leben in Griechenland gut zehn Millionen Griechen, in der Diaspora weitere sieben Millionen. Diese Diaspora hat bisher durch Überweisung von Geld in erster Linie finanzielle Unterstützung für die Heimat geleistet. Aber diese Diaspora kann in Zukunft zum zentralen Faktor werden, wenn die griechische Gesellschaft ihre massiven Probleme lösen, die anstehenden Strukturreformen so umsetzen und ihr Potenzial so nutzen möchte, dass in dem Land Wohlstand einziehen kann.

Die Griechen sind in der Diaspora nicht nur als Kapitalgeber, Entrepreneure, Forscher, Fach- oder Führungskräfte erfolgreich, sondern erleben und erfahren in anderen Ländern auch, wie Institutionen besser funktionieren - öffentliche Verwaltung Steuern, Ablaufprozesse.

Weltweit sind drei Prozent der Spitzenforscher Griechen, nur leben sie nicht in Griechenland

Ganz konkret: In Griechenland ist es ein Tabu, Forschungsergebnisse oder forschungsbasierte Ideen in Produkte oder Dienstleistungen umzuwandeln. Die Nutzung solcher Transfers wäre jedoch von zentraler Bedeutung, wenn sich das Land in eine wissensbasierte Ökonomie entwickeln möchte. Nun hat die griechische Regierung im November 2014 ein Gesetz verabschiedet, dass diesen Wissenstransfer zwischen Forschung und Unternehmen ermöglichen soll. Nur: Kein Mensch in Griechenland weiß von diesem Gesetz und das gelebte Tabu haftet weiterhin in den Köpfen, die Wirkung bleibt aus.

Dagegen erleben und gestalten die Griechen in der Diaspora selbst den Wissenstransfer. Kehrten sie nach Griechenland zurück, würden sie dies Wissen mit ins Land tragen und die Vorteile eines noch schlummerndes Gesetzes Realität werden lassen.

Anders gesagt: Die Griechen in der Diaspora verfügen nicht nur über Risikokapital oder unternehmerische Fähigkeiten, sondern auch über das spezifische Wissen zur Transformation Griechenlands in einen modernen Staat.

Die zentrale Frage ist also: Wie kann eine Diaspora-Politik so gestaltet werden, dass Interaktion und Kooperation zwischen Griechen im Ausland und im Inland aktiviert wird? Antworten dazu finden sich in anderen Ländern mit großer Diaspora. Beispiel Polen: Polnische Bürger, die in Westeuropa ausgebildet wurden und dort gearbeitet haben, sind in ihr Land zurückgekehrt und haben in Schlüsselministerien gearbeitet. Sie haben mit EU-Mitteln und in Kooperation mit den besten Forschungsinstituten Europas mehrere Großprojekte gestaltet, die Polen in eine innovationsgetriebene Ökonomie transformieren werden. Gleichzeitig haben sie Strukturen reformiert. Polen verbesserte sich im sogenannten Ease of Doing Business Index der Weltbank, der das Geschäftsklima in allen Ländern der Welt erfasst, im Jahr 2015 auf Platz 32. Das Land wird bald ökonomisch Anschluss an die führenden Länder Westeuropas finden.

Beispiel Japan und Südkorea: Diese Länder haben ihre Diaspora genutzt und Wissensnetzwerke entwickelt, die den Technologietransfer in ihre eigenen Volkswirtschaften ermöglichen. Dieser Transfer kann über Lizenzen laufen, über Direktinvestitionen und Bereitstellung von Risikokapital, durch die Übernahme von Führungspositionen oder über Forschungsnetzwerke, die heimische Forschungsinstitute mit den Forschern in der Diaspora geknüpft haben.

Eine weitere auch für Griechenland interessante Option, die mittlerweile in vielen Ländern - inzwischen auch in Deutschland - angewandt wird, ist die Entwicklung von Austauschprogrammen oder die doppelte Anstellung für Spitzenforscher, die an amerikanischen Top-Universitäten sind und kein Interesse an einer vollständigen Rückkehr in ihr Heimatland haben. Auf diese Weise kann der sogenannte Brain Drain in eine Brain Circulation verwandelt werden. All das ermöglicht auch den Wissenstransfer in das Heimatland hinein.

Insofern hat es die griechische Diaspora in der Hand, die Transformation dieses Landes in einen modernen Staat zu unterstützen. Voraussetzung dafür, dass die griechische Diaspora zum Schlüsselfaktor für einen Turn-around wird, ist aber ein Verbleib des Landes im Euro und eine dauerhafte Beendigung der Grexit-Debatte. Nur dann werden diese Menschen bereit sein, sich für ihr Land einzusetzen. Und es gibt viele, die bereitstehen, um in Griechenland ihr Kapital und ihr spezifisches Know-how einzubringen, das sie in den anderen Ländern angesammelt haben. Verlässt Griechenland den Euro, wird es auch für die griechische Diaspora nur noch ein schöner Ort sein, um die Sommerferien zu genießen.

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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