Ausschreitungen in Kairo:Ägypter verzweifeln an ihrer Wahl

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Aufruhr statt Versöhnung, Chaos statt demokratischer Aufbruch: Die freien Wahlen in Ägypten sollten den Schlusspunkt der Tahrir-Revolution bilden, aber die Reformer könnten leer ausgehen. Weil nun ein Islamist mit einem alten Militär-Kader um die Macht ringt, wächst der Frust im Volk.

Thomas Schmelzer

"Warum wundert ihr euch überhaupt in Ägypten", kommentierte am Montagabend Hosni Mubarak die aktuelle Lage im Mutterland der arabischen Revolution. Es war natürlich nicht der ehemalige Staatschef, der die Twitter-Nachricht abgesendet hat. Doch auch wenn der echte Hosni Mubarak derzeit im Gefängnis sitzt, die zynische Botschaft hätte dem Ex-Präsidenten wohl gefallen.

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:Tausende demonstrieren gegen "unfaire" Wahlen

Wütende Demonstranten auf dem Tahrir, brennende Wahlplakate im Büro eines Präsidentschaftskandidaten: In Ägyptens Hauptstadt Kairo kommt es nach der Veröffentlichung der Wahlergebnisse zu heftigen Ausschreitungen. Die ägyptischen Revolutionäre sehen sich nach dem Aufstand gegen den ehemaligen Machthaber Mubarak um ihre Freiheit betrogen.

Ägypten versinkt mehr als ein Jahr nach Beginn der Revolution am Tahrir-Platz im Chaos. Statt eines Neuanfangs stehen die Zeichen nach der Präsidentenwahl auf Spaltung. Kein Kandidat, der für Kompromiss und Versöhnung steht, konnte sich durchsetzen. Kein Hoffnungsträger der Oppositionellen genügend Stimmen auf sich vereinen. Stattdessen wird die Stichwahl am 16. Und 17. Juni von zwei Männern bestritten, die polarisieren statt befrieden.

Da ist zum einen Mohammed Mursi von der Muslimbruderschaft. Er gilt als islamistischer Hardliner ohne jeden Charme. Für die Liberalen ist der bekennende Israel-Gegner ein rotes Tuch, die Christen fürchten ihn, weil er für eine islamische Renaissance wirbt.

Auf der anderen Seite steht Ahmed Schafik. Viele bezeichnen ihn als die etwas freundlichere Version des gestürzten Präsidenten Mubarak. Im Wahlkampf verkaufte sich der ehemalige Luftwaffenoffizier gerne als Mann der harten Hand. Im Falle seines Wahlsiegs werde er innerhalb von 24 Stunden wieder für Recht und Ordnung sorgen. Wie er das im Einklang mit Demokratie und Rechtssicherheit machen will, lässt Schafik aber offen.

Verzweifelte Oppositionelle

Die Anhänger der Tahrir-Opposition sind dementsprechend verzweifelt. "Zwischen Schafik und Mursi zu wählen ist, als ob man sich aussuchen kann, sich selbst zu verbrennen oder in ein Haifischbecken zu springen", schreibt ein ägyptischer Twitter-Nutzer.

In der Nacht zum Dienstag entlud sich diese Enttäuschung. Nachdem das Wahlergebnis offiziell verkündet worden war, marschierten Hunderte Menschen zum Hauptquartier Schafiks, zertrümmerten die Fenster und zündeten das Gebäude schließlich an. Gleichzeitig versammelten sich Tausende am Tahrir-Platz und protestierten gegen den regierenden Militärrat.

Präsidentschaftswahl in Ägypten
:Islamisten, Reformer, Abtrünnige

Die Ägypter wählen einen neuen Präsidenten - zum ersten Mal seit dem Sturz des früheren Machthabers Mubarak. 13 Kandidaten, alle Männer, konkurrieren um das Amt des Staatschefs, doch nur wenigen werden tatsächlich Chancen eingeräumt.

in Kurzporträts.

Obwohl internationale Beobachter bei der Wahl nur unerhebliche Unregelmäßigkeiten feststellen konnten, machen in Kairo zurzeit Gerüchte über massive Wahlfälschungen die Runde. In einem Gebüsch seien über 900.000 Stimmzettel für den drittplazierten Hamdin Sabahi gefunden worden. Viele beklagen außerdem, dass drei Millionen Polizisten und Soldaten zur Wahl gegangen seien - obwohl die Sicherheitskräfte eigentlich von der Wahl ausgeschlossen sind. Die Lage in der ägyptischen Hauptstadt ist so unübersichtlich, dass viele sogar vermuten, die Anhänger Schafiks hätte sein Quartier selbst angezündet, um so die verfeindeten Muslimbrüder in ein schlechtes Licht zu rücken.

Am Boden: Ein Ägypter sammelt Flyer von Präsidentschaftskandidat Ahmad Schafik vom Boden auf. Anhänger der Muslimbrüder hatten die Werbezettel bei einem Angriff auf Schafiks Hauptquartier auf die Straße geschmissen. Nach den Ausschreitungen in Kairo steht Ägypten vor schwierigen Zeiten. (Foto: dpa)

Ägypten am Scheideweg

"Wir sind jetzt in stürmischen Gewässern", sagt der Ägypten-Experte Asiem el Difraoui im Gespräch mit der SZ. Mehr als die Hälfte der Ägypter habe gegen die zwei Extreme Mursi und Schafik gestimmt. "Da ist die Frustration groß", sagt el Difraoui.

Für den Experten kommt es nun darauf an, ob es den zwei Wahlsiegern gelingt, lagerübergreifende Koalitionen zu bilden. "Beide Kandidaten strecken derzeit ihre Hände zu den liberalen und gemäßigten Kräften aus", sagt el Difraoui. Im besten Fall könne so eine Koalition der Vernunft entstehen. Gelinge der Konsens jedoch nicht, sieht el Difraoui unruhige Zeiten auf Ägypten zukommen. "Dann haben wir eine polarisierende Regierung und vielleicht dauerhafte Unruhen."

Und bislang heizen die Verlierer die Stimmung noch mehr an. Hamdin Sabahi, der größte Hoffnungsträger der Tahrir-Opposition, will die Wahl anfechten. Der unabhängige Islamist Abdel Moneim Abul Futuh und der Islam-Gelehrte Mohammed Selim al-Awa unterstützen ihn dabei.

Am 11. Juni entscheidet außerdem das Verfassungsgericht, ob der zweitplatzierte Ahmed Schafik überhaupt zur Stichwahl antreten darf. Nachdem ein Gesetz die Kandidatur von Mitgliedern des Mubarak-Regimes verboten hatte, legte Schafik Ende April zunächst erfolgreich Einspruch ein.

Für die Reformer des Tahrir-Aufstands dürfte das der letzte Hoffnungsschimmer sein. "Die gemäßigten Kräfte haben sich im Grunde selbst sabotiert, weil sie sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten", sagt Asiem el Difraoui. Hätten sie das getan, wären Schafik und Mursi schon längst weg vom Fenster.

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