Auslandseinsätze:Haftung nicht ausgeschlossen

Lesezeit: 1 min

Beim einem Luftangriff der Bundeswehr im afghanischen Kundus kamen 2009 zahlreiche Zivilisten ums Leben. Das Bundesverfassungsgericht sieht den deutschen Staat hier durchaus in der Pflicht - anders als der BGH.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Während eine mögliche Bewaffnung der Bundeswehr mit Drohnen aufgeschoben ist, vollzieht sich gerade ein leiser Wandel in einer für Auslandseinsätze jeder Art relevanten Grundsatzfrage. Noch vor vier Jahren hatte der Bundesgerichtshof (BGH) eine Haftung des deutschen Staates für völkerrechtswidrige Einsätze kategorisch ausgeschlossen. Doch kurz vor Weihnachten hat das Bundesverfassungsgericht diesen BGH-Beschluss zurechtgerückt - zwar nicht im Ergebnis, aber in einem zentralen Punkt. Es ging um den fatalen Luftangriff im afghanischen Kundus im September 2009. Ein deutscher Oberst hatte zwei von Talibankämpfern in Besitz genommene Tankwagen bombardieren lassen; zahlreiche Zivilisten starben, die genaue Zahl ist bis heute umstritten.

Während der BGH eine Entschädigung der Hinterblieben ablehnte, weil er deutsches Amtshaftungsrecht bei solchen Auslandseinsätzen für gänzlich unanwendbar hielt, gilt laut Verfassungsgericht das Gegenteil. Die Haftung für staatliches Unrecht sei "auch Ausfluss der jeweils betroffenen Grundrechte, die insoweit den zentralen Bezugspunkt für die Einstandspflichten des Staates bilden".

Soll heißen: Dass der Staat haftet, folgt unmittelbar aus dem Grundgesetz - auf das sich in solchen Fällen eben auch afghanische Bürger berufen können. Dass Deutschland auch im Ausland an Grundrechte gebunden ist, war erst vor kurzem im Karlsruher BND-Urteil nachzulesen. Zwar könnte der Gesetzgeber hohe Schranken gegen eine Haftung errichten; völlig ausschließen kann er sie nicht.

Ein Opfer klagt auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Dazu passt ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, es geht ebenfalls um Kundus. Die Ermittlungen gegen den Oberst waren 2010 eingestellt worden, dagegen hat ein Angehöriger eines Opfers geklagt. Es geht um eine Frage, die wie die Europa-Version des Karlsruher Beschlusses klingt: Gilt die Europäische Menschenrechtskonvention bei Auslandseinsätzen auch außerhalb Europas? Haben Soldaten die Menschenrechte im Gepäck, in Afghanistan oder anderswo? In Fällen faktischer Kontrolle durch Besatzungstruppen hat der Gerichtshof dies bereits mehrmals bejaht. Das Urteil zu Kundus steht noch aus. Bei der Anhörung im Februar nahmen die Richter das Thema sehr ernst.

Dass Soldaten nach Auslandseinsätzen künftig mit Klagen überzogen werden, ist dennoch nicht zu erwarten. Schon innerhalb Deutschlands muss, wer auf Amtshaftung klagt, vor Gericht viel Glück haben. Aber dass die Bundeswehr weltweit im haftungsfreien Raum operiert - das ist fortan ausgeschlossen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: