Ausländerrecht:Die geduldete Intensivpflegerin

Lesezeit: 4 min

Pflegerin Farah Demir in der Corona-Intensivstation der MH Hannover. (Foto: privat)

Farah Demir floh als Kleinkind mit ihren Eltern aus dem Libanon, lebt schon seit 34 Jahren in Deutschland und arbeitet als Spezialistin auf der Covid-Station der renommierten Klinik MHH in Hannover - aber sie kämpft immer noch um eine Staatsangehörigkeit und einen Pass, die Bürokratie ist bisher stärker.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Über Weihnachten hat die Frau ohne Pass wieder Nachtdienst. Medizinische Hochschule Hannover, MHH. Station 14. Interdisziplinäre internistische Intensivstation. Covid-Station. Es ist die Abteilung, in der Patienten an Maschinen um ihr Leben ringen.

Farah Demir wird ihre FFP3-Maske aufsetzen und die Schutzkleidung anziehen, die Handschuhe reichen ihr bis zu den Ellbogen. Eine Intensivpflegerin wie sie braucht eine deutsche Spitzenklinik wie diese zu jeder Zeit - in der Ära Corona ist sie systemrelevant, wie es so schön heißt. Ihren eigenen Kampf kann Farah Demir während der Arbeitszeit ausblenden, sie hat das notgedrungen geübt. Nach Feierabend, bei ihr nun der Morgen, ist sie dann wieder "ein Mensch, der seine Identität nicht nachweisen kann", wie sie sagt. "Es geht mir an die Substanz."

Als Mensch ist sie in Deutschland nur geduldet, dabei lebt Farah Demir, 36 Jahre alt, seit 34 Jahren in Deutschland. Gerade wurde ihre Duldung auf öffentlichen Druck bis zum 31. März 2021 verlängert, sonst wäre sie am 31. Dezember 2020 abgelaufen. Eine "Änderung der Nebenbestimmungen" werde "zunächst nicht veranlasst", so das Amtsdeutsch der Abteilung 25 "Zuwanderung und Wohngeld" der Stadt Hameln, "sodass Ihnen auch weiterhin die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt sein wird". Farah Hareb-Demir, so ihr kompletter Name, darf weiterhin dabei helfen, Leben zu retten. Aber eine Staatsbürgerschaft, zum Beispiel die deutsche, besitzt sie nicht.

Wenn sie am Telefon ihre Geschichte erzählt, dann klingt es wie bürokratische Realsatire. Zur Welt kam Farah Demir 1984 in Beirut, im libanesischen Bürgerkrieg. Die Hebamme und ein Bürgermeister stempelten die Geburtsurkunde ab, ohne amtliche Registrierung, die staatliche Verwaltung lag in Trümmern. 1986 flüchteten die Demirs über Syrien nach Ost-Berlin und überquerten in Helmstedt die Grenze in den Westen. Eigentlich wollten sie nach Schweden. Farahs Vater hatte sein Foto in Opas Pass geklebt, der Opa war Kaufmann und viel unterwegs.

Ein Medizin-Studium war ohne Papiere nicht möglich

Der Vater zeigte die Fälschung selbst an, es gab kein Verfahren. Die Familie kam ins Auffanglager Friedland und dann nach Hameln, wo sie seither wohnt; Farah Demir hat inzwischen mit ihrem israelischen Mann auch eine Wohnung in Hannover, des Jobs wegen. Jahrelang kämpften die Eltern mit Anwälten darum, zurück nach Libanon zu gelangen, um wenigstens die Papiere zu erneuern. Keine Chance.

1992 flogen die Demirs nach Istanbul, um die alte Heimat auf dem Landweg über Damaskus zu erreichen. Farah Demir war acht, sie beantragte beim türkischen Generalkonsulat in Hannover ein Visum, ihr Deutsch war besser als das der Eltern. Sie erinnert sich an die zweitägige Fahrt im stickigen Bus über holprige Straßen, das Trinkwasser modrig, ein Kind neben ihr übergab sich. Der Großvater sollte sie in Syrien abholen, er schaffte es nicht. 1996 ein Versuch, zur Volkszählung ins mittlerweile friedlichere Beirut zu fliegen, die Ausreise wurde verweigert.

In Hameln bekamen Farah Demir und ihr Bruder einen blauen Ausweis als Staatenlose. Augenfarbe "dunkelbraun" ist darin zu lesen, Nase "normal", was auch immer eine normale Nase sein soll. Gültig war das Dokument "für alle Länder, außer der Rep. Libanon", wie vermerkt wurde. "Bleiben Sie fleißig", riet ein Beamter ihr, der guten Schülerin. Sie machte das Abitur - Medizin studieren konnte sie mangels Papieren nicht, sie wurde Krankenschwester, nachher Intensivschwester.

2005 wechselte die Sachbearbeiterin bei der Ausländerbehörde. Der Staatenlosen-Pass wurde kassiert, Farah Demir sollte einen libanesischen Pass vorzeigen. "Wir reden von einer Person, die in 34 Jahren nicht einmal im Libanon war", sagt sie. Von libanesischen Stellen kam keine Hilfe. Stattdessen präsentierte die Hamelner Sachbearbeiterin 2006 einen Auszug aus einem türkischen Register.

Eine Petition an Horst Seehofer hatte 33 500 Unterstützer

Ihr Vorname war darauf falsch geschrieben, Ferha, es gab auch keine offiziellen Siegel oder Stempel. Doch für die deutschen Entscheider war Ferha Demir fortan Türkin, obwohl sie die Türkei nie betreten hatte, wenn man von jener Busreise 1992 absieht. Die Ausländerbehörde warf den Demirs vor, bei der Einreise nach Deutschland falsche Angaben gemacht zu haben, Nachweise ihrer Eltern Libanon wurden eingezogen. Sie sollten Pässe aus der Türkei beschaffen, aber wie?

Ihr aktueller Ausweis ist ein blassgrünes Faltpapier, Aufschrift "Aussetzung der Abschiebung (Duldung)". Als Geburtsort wird Savur in der Türkei angegeben, als Staatsangehörigkeit "türkisch", obwohl sie keine Türkin ist. Sie nennt Libanon "mein Vaterland. Deutschland hat mich erzogen, Deutschland ist mein Mutterland". Deutsch ist ihre erste Sprache, Arabisch die zweite. Ihre Mutter übersetzt für die Ausländerbehörde. Aber Deutschland gewährt Ferha Demir, berufstätig auf der MHH-Intensivstation, seit Jahren nur diese Duldung, die es ihr sogar verwehrt, das Bundesland Niedersachsen zu verlassen.

Am 19. November 2020 forderte sie die Stadt Hameln auf, "einen gültigen Nationalpass oder Passersatz" vorzulegen. Sonst sei mit Konsequenzen bis hin zu Berufsverbot und Sicherungshaft zu rechnen. "Ich schäme mich so wahnsinnig", sagt Farah Demir, "es ist so anstrengend." Sie kommt sich vor wie eine Kriminelle, dabei ist sie Intensivpflegerin.

Gemeinsam mit der Verdi-Betriebsgruppe richtete MHH-Betriebsrat Nils Hoffmann eine Petition für eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung an Innenminister Horst Seehofer, 33 500 Unterstützer haben sich registriert. Und siehe da: Am Donnerstag wurde Farah Demir im niedersächsischen Innenministerium versichert, dass man eine Lösung finden wolle. Am Freitag kam die Verlängerung der Duldung. "Der Fall ist im Prinzip gelöst", meint ein Sprecher der Stadt Hameln, aber ja, die Sache sei "ein ziemliches Dilemma", es gebe "sicherlich Fragezeichen".

Farah Demir freut sich über die Neuigkeiten, aber sie befürchtet, "es geht von vorne los, nur auf höherem Level. Man hängt in der Luft". Zu Weihnachten wird sie mit ihrem Mann tagsüber essen, er Hühnerbrust, sie Entenbrust mit Rotkohl. Dazu Kinderpunsch, Alkohol trinkt die Muslimin nicht. Dann fährt sie zur MHH, Covid-Station.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: