Auseinandersetzung mit Vertreibung:Zwölf ermordete Sudetendeutsche in Tschechien beigesetzt

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Die Opfer des Massakers wurden vor zwei Jahren entdeckt. Jetzt sind die zwölf im Jahr 1945 ermordeten Sudetendeutsche in Tschechien mit einer Trauerfeier geehrt worden. Die Bemühungen, die Vertreibung der Sudetendeutschen in allen Einzelheiten aufzuklären, finden wachsende Zustimmung.

Klaus Brill, Warschau

Mit einer zweisprachigen Messe und einer feierlichen Beisetzung sind am Wochenende in der tschechischen Stadt Jihlava (Iglau) zwölf Opfer eines Massakers geehrt worden, das 1945 kurz nach Kriegsende an einer Gruppe sudetendeutscher Dorfbewohner verübt worden war.

Etwa 200 Menschen nahmen an der Trauerfeier teil, auch mehr als 60 Angehörige aus Deutschland. (Foto: dpa)

An der Trauerfeier nahmen mehr als 60 aus Deutschland angereiste Angehörige der Ermordeten teil. Die sterblichen Überreste der Opfer waren erst vor zwei Jahren entdeckt und in jüngster Zeit identifiziert worden. Bei den heutigen tschechischen Dorfbewohnern hatte dies heftige Kontroversen ausgelöst.

Der Vorgang markiert eine weitere Etappe in der Auseinandersetzung der tschechischen Gesellschaft mit der Vertreibung der Sudetendeutschen, die früher als Tabu galt. Etwa drei Millionen deutschsprachige Mitbewohner, deren Familien meist seit dem Mittelalter dort siedelten, mussten nach 1945 ihre Habe aufgeben und emigrieren.

Viele Tschechen betrachten dies bis heute als gerechte Strafe für die Verbrechen des Nazi-Regimes, das nach dem Münchner Abkommen 1938 die Sudeten-Gebiete annektiert und 1939 auch den Rest des heutigen Tschechien besetzt hatte. Verschiedene Autoren und Gruppen finden allerdings schon seit geraumer Zeit wachsende Zustimmung für ihr Bemühen, die Vorgänge in allen Einzelheiten aufzuklären und die Vergeltung als verwerflich und verbrecherisch zu bewerten.

Dies gilt besonders für die wilden Übergriffe gleich nach Kriegsende. Beispielsweise wurden im Juni 1945 in Postoloprty (Postelberg) in Nordböhmen mehrere tausend sudetendeutsche Männer zusammengetrieben und etwa 2200 von ihnen umgebracht.

In kleinerem Umfang fand Ähnliches auch an anderen Orten statt, so in dem Dorf Dobronin (Dobrenz), das auf der böhmisch-mährischen Höhe bei Jihlava (Iglau) liegt. Dort kam es nach Recherchen von Angehörigen der Opfer am 19. Mai 1945, einem Samstag, zum Massaker an 15 sudetendeutschen Männern, meist Bauern, die in einem Feuerwehrgerätehaus inhaftiert waren.

Tschechische Männer, die sich bei einer Tanzveranstaltung in der Dorfkneipe trafen, zogen, teils schon alkoholisiert, zum Gerätehaus und trieben die Inhaftierten auf eine Wiese beim Dorf. Dort mussten diese nach dem Bericht von Zeitzeugen ihr eigenes Grab schaufeln und wurden dann umgebracht.

Ein zweisprachiger Gottesdienst

Die Berliner Autorin Herma Kennel hatte das Geschehen in ihrem 2003 erschienenen Roman "BergersDorf" verarbeitet, der dann für den Autor Jiri Vybihal und den Journalisten Miroslav Mares aus Jihlava den Anstoß für eigene weitere Recherchen gab. Andere Medien griffen den Stoff auf, die Polizei leitete Ermittlungen ein und ließ die sterblichen Überreste der Ermordeten ausgraben.

Durch genetische Vergleiche mit DNA-Proben von Angehörigen konnten elf der zwölf gefundenen Skelette eindeutig identifiziert werden. Sie wurden zur Bestattung freigegeben, die nun am Samstagvormittag auf dem Zentralfriedhof von Jihlava (Iglau) im Beisein von etwa 200 Menschen stattfand.

Als Sprecher der Angehörigen äußerte der 78-jährige Johann Niebler aus Mertingen bei Augsburg seine tiefe Genugtuung über den Verlauf der Dinge und sagte, die Trauerfeier sei "sehr ergreifend" gewesen. Die Autorin Herma Kennel erklärte, das "versöhnliche Ende" sei nur dank des "Ineinandergreifens verschiedener glücklicher Fügungen" möglich geworden.

Die Teilnehmer der Feier versammelten sich in der katholischen Jakobskirche in Iglau zu einem Gottesdienst, der zweisprachig in Tschechisch und in Deutsch zelebriert wurde. Dabei mahnte der Pfarrer Dieter Lang aus Neuburg a. d. Donau, der sogenannter Heimatpfarrer der sudetendeutschen Gemeinschaft der "Iglauer Sprachinsel" ist, zu einer "Versöhnung über dem offenen Grab".

Laut tschechischer Nachrichtenagentur CTK erinnerte Lang auch daran, dass in Lidice bei Prag zur Zeit der Nazi-Besatzung die Bevölkerung eines ganzen tschechischen Dorfes ermordet worden war. Dann begaben sich die Teilnehmer auf den Zentralfriedhof, wo die Gebeine in einem Sammelgrab bestattet wurden. Eine Beerdigung in Dobronin hatten der dortige kommunistische Bürgermeister und der Gemeinderat abgelehnt.

© SZ vom 17.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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