Aung San Suu Kyi:Lady gegen die Magnaten

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Auf der Oppositionsführerin lasten riesige Erwartungen, sie wird verehrt wie eine Nationalheilige. Das alte Regime bereitet sich auf ihren Sieg vor - und will ihre Macht mit bizarren Regeln beschränken.

Von Arne Perras

Khin Shwe, der nun aufs Podium steigt, hat seinen Zauberer mitgebracht. Es ist ja nicht mehr so einfach zu siegen wie früher. Bei der Wahl 2010 fehlten noch die wahren Gegner, weil Oppositionelle entweder eingesperrt waren oder die Abstimmung boykottierten. Kandidaten des Militärregimes hatten es leicht. Jetzt ist das anders, zumal der Geschäftsmann Khin Shwe auch noch in Kawhmu antritt. Jedes Kind in Myanmar kennt diesen Ort nahe der früheren Hauptstadt Yangon. Es ist der Wahlkreis der Freiheitskämpferin Aung San Suu Kyi. Da muss einer aus dem alten Lager schon ein paar gute Tricks aufbieten, um sich noch einen Platz zu sichern. Khin Shwe, ein sehr dicker und sehr reicher Mann, will das schaffen. Aber er hat erst gar nicht versucht, direkt gegen die Oppositionsführerin anzutreten. Sie kandidiert für das Unterhaus, er möchte seinen Sitz im Oberhaus retten. Als Senator gehört er zur regierenden "Union der Solidarität und Entwicklung" (USDP), die aus der Militärjunta hervorgegangen ist. Und die ist in Kawhmu, nach allem, was man erfahren kann, nicht gerade beliebt.

Khin Shwes Gehilfe, der schwarz gekleidete Zauberer, muss sich denn auch abmühen, um die Schar auf dem Dorfplatz halbwegs bei Laune zu halten. Einen 1000-Kyat-Schein wedelt der glatzköpfige Magier hin und her, umgerechnet 70 Cent. Er faltet ihn mal so, mal so, er schwatzt und kichert, hüpft nach links und nach rechts. Dann kreischt er wie eine Krähe. Und, schwups, hat sich der Schein in 5000 Kyat verwandelt. Millionär Khin Shwe findet das famos, er klatscht und setzt sein breitestes Grinsen auf. Soll heißen: Ich bin das Geld. Hier seid ihr richtig.

Wohin sie auch kommt, die Massen sind schon da. Wenn ihre Anhänger jubeln, setzt Aung San Suu Kyi ihren berühmten Blick auf, dem angeblich nichts entgeht. (Foto: Soe Zeya Tun/Reuters)

Doch hören sie ihn auch? Unten auf dem Platz klatschen nur wenige. Mehr als ein paar Hundert Unterstützer für die USDP kann selbst ein so wohlhabender Immobilienfürst wie Khin Shwe hier nicht aufbieten. Seine Gegner ächten ihn als einen Günstling der Junta, die Myanmar Jahrzehnte lang unterdrückte.

Die Junta herrschte eisern, terrorisierte Kritiker und plünderte die Reichtümer

Nun könnte sich vieles ändern: Myanmar mit seinen 53 Millionen Menschen erwartet für diesen Sonntag die ersten freien und halbwegs fairen Wahlen seit einem Vierteljahrhundert. 93 Parteien treten an, mit 6189 Kandidaten. Entscheidend wird sein, ob es der "Demokratischen Liga für Demokratie" (NLD) mit Aung San Suu Kyi an der Spitze gelingt, die regierende USDP abzulösen. Das ist die Partei des Präsidenten und Ex-Generals Thein Sein, der regiert, seitdem das Militär 2011 eine vorsichtige Öffnung und schrittweise Reformen verordnet hat. Sollten die Wahlen für beide nationalen Kammern und die regionalen Versammlungen sauber verlaufen, so wäre das Land auf dem Weg zur Demokratie einen großen Schritt weiter. Bislang hat es nur eine blutige Attacke auf einen NLD-Kandidaten gegeben. Und abgesehen von Brennpunkten im Norden, wo die Armee gegen Rebellen ethnischer Minderheiten kämpft, ist es recht ruhig geblieben.

Das Erbe der Diktatur lastet schwer auf dem Staat, der sich wie ein Keil zwischen die Riesen Indien und China zwängt und deshalb das strategische Interesse aller Großmächte weckt. Die Armut der Massen ist erdrückend, weil die Junta und ihre Günstlinge unter der schützenden Hand Chinas in die eigene Tasche wirtschafteten und sich eine breit gefächerte Ökonomie unter internationalen Sanktionen nicht entwickeln konnte. 1990 war Suu Kyis Partei ein überragender Sieg gelungen, doch die Generäle ignorierten das Votum des Volkes, eine Clique hielt sich an der Macht. Das im Westen geächtete Regime herrschte eisern, terrorisierte seine Kritiker und plünderte die Reichtümer aus, während die Massen entrechtet blieben.

Aber ihre Hoffnung hatte ein Gesicht: Aung San Suu Kyi, Vorkämpferin für die Demokratie. Mit ihr konnte sich das Volk identifizieren, auch deshalb, weil sie die Tochter des legendären Freiheitshelden Aung San ist. Der General kämpfte gegen die Kolonialherren, er ist in den Augen des Volkes die historische Lichtgestalt. Und Suu Kyi seine legitime Erbin. Sie hätte ins Exil fliehen können, doch sie tat es nicht. Sie ertrug 15 Jahre Hausarrest, verkörperte den gewaltlosen Widerstand, wurde mit internationalen Ehren wie dem Friedensnobelpreis überhäuft. So wurde "Mutter Suu", wie sie im Land gerne genannt wird, den Menschen zur Freiheitsikone, sie sahen in ihr eine aufrechte und furchtlose Frau, die sich gegen die Exzesse der Junta stemmt.

Dass Aung San Suu Kyi wie eine Nationalheilige verehrt wird, kann man jetzt vielerorts erleben, zum Beispiel auf dem großen sandigen Feld im Osten von Yangon, wo an einem Sonntag Zehntausende Anhänger zu ihrer Kundgebung strömen. "Amay Suu", Mutter Suu, rufen die Massen, als sie die Bühne betritt.

Mutter Suu also hält die linke Hand vornehm hinter dem Rücken und greift mit der rechten zum Mikrofon. Sie spricht jetzt 24 Minuten lang, nüchtern und konzentriert. Dabei hat sie diesen durchdringenden Blick, den alle kennen. "Diesen Augen entgeht nichts", sagt ein junger drahtiger Mann in der Menge, der sich wie so viele ein rotes Stirnband mit gelbem Pfau um den Kopf gebunden hat, das Banner der NLD. Der ganze Platz leuchtet an diesem späten Nachmittag rot. Und oft braust Begeisterung auf, sobald die Parteichefin einen ihrer Sätze beendet hat. Zweimal lacht sie. Aber dann hat sie sich schnell wieder im Griff, konzentriert sich auf das große Ziel: Wandel für Myanmar.

Langer Abstieg

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(Foto: sz grafik)

Wer 1960 nach Südostasien reiste, landete noch in Birmas Hauptstadt Rangun, nicht in Bangkok. Das damalige Birma war vielen asiatischen Staaten voraus, Südkorea war bitterarm, auch Thailands Aufstieg kam erst später. Doch dann fiel der Staat in fünf Jahrzehnten autoritärer Herrschaft zurück, andere zogen vorbei an Birma, das die Junta 1989 in Myanmar umbenannte. Das Volk blieb arm und entrechtet, während sich eine international geächtete, nur von Peking beschütze Clique in Uniform bereicherte. Trotz vieler Rohstoffe wie Öl, Gas, Holz und Edelsteinen zählt der Staat zu den am wenigsten entwickelten Ländern weltweit. In ländlichen Gebieten lebt jeder Zweite in Armut, seit der Öffnung kommen zwar neue Investoren, doch spürt die große Mehrheit der Bürger davon noch wenig.

"Mehr als fünf Jahrzehnte haben wir unter autoritärer Herrschaft gelitten", ruft sie. "Das Volk hat die Macht, unser Land zu verändern. Deshalb wählt 100 Prozent NLD." Sie muss gar nicht emotional werden, um ihre Anhänger zu mobilisieren. Sie braucht keinen Zauberer auf der Bühne. Auch ansonsten könnte sich ihre Rede kaum stärker absetzen vom Auftritt eines Khin Shwe, der tags zuvor in Kawhmu spricht und mindestens viermal erwähnt, dass er im Jahr umgerechnet 3,5 Millionen Dollar für gute Zwecke spende und nach dem Wirbelsturm ja auch 184 Pagoden in den Dörfern repariert habe. Über Aung San Suu Kyi spricht der Immobilienfürst übrigens auch, ständig lobt er sie, als wären sie eine enge Verbündete. Sie seien "wie Bruder und Schwester", flötet der Magnat. Dann erzählt er, wie sie im Parlament zusammensäßen, um Tee zu trinken, seitdem Aung San Suu Kyi über Nachwahlen 2012 einen Sitz errungen hat.

Seinen Präsidenten Thein Sein dagegen erwähnt Khin Shwe mit keinem Wort. Stattdessen schmeichelt er immer nur einer: Aung San Suu Kyi. Die Botschaft aus dem Mund eines USDP-Kandidaten wirkt bizarr, entspringt aber einem nüchternen Kalkül. Die Wähler sollen Mutter Suu ins Unterhaus wählen, ihn aber fürs Oberhaus nicht vergessen. Sie hat den Glanz und er das Geld. Ist das nicht eine perfekte Kombination? So möchte das Khin Shwe gerne unters Volk bringen.

Demokratie, aber schön langsam: Thein Sein (rechts), Präsident und Ex-General, auf einer Wahlkampfreise. (Foto: Nyunt Win/dpa)

Aung San Suu Kyi weiß, dass ungewollte Umarmungen ihre Partei am Sonntag Stimmen kosten können. Sie warnt vor Tricksereien. Sie spricht auch von Einschüchterungen und Versuchen der Gegner, Stimmen zu kaufen. "Nehmt, was euch gegeben wird," ruft sie. "Aber wählt NLD". Tatsächlich ist es trotz ihrer Popularität nicht sicher, dass der Machtwechsel gelingt. Noch immer gilt eine Verfassung, die dem Militär 25 Prozent der Parlamentssitze reserviert. Das heißt: Präsident Thein Sein mit der USDP braucht nur 26 Prozent der Mandate zu gewinnen, und schon hat er, in Allianz mit dem Armeeblock, eine NLD-Regierung verhindert.

Die Generäle haben sich ein paar Klauseln ausgedacht. Suu Kyi darf nicht Präsidentin werden

Und dann ist da noch Paragraf 59 f der Verfassung. Er schließt Kandidaten, deren Ehepartner oder Kinder einen ausländischen Pass besitzen, von der Präsidentschaft aus. Diese Klausel hat die Armee eingebaut, um Aung San Suu Kyi als Staatschefin zu verhindern. Aus ihrer Ehe mit dem Briten Michael Aris hat sie zwei Söhne und das nutzen die Generäle aus. Wenn Aung San Suu Kyi nun siegen sollte, müsste sie jemand anderem zum Amt des Staatschefs verhelfen. Es ist allen klar, dass sie sich mit dem mächtigen Militär irgendwie arrangieren muss. Wer ihr Kandidat für das Präsidentenamt sein wird, weiß man noch nicht. Aber keine Sorge, so bringt sie es unter das Volk, sie werde schon die Oberaufsicht behalten. "Ich werde über dem Präsidenten sein. Es ist eine simple Botschaft", sagt sie am Donnerstag.

Das beruhigt viele NLD-Anhänger, zum Beispiel Khin Mar Win, eine 60-jährige Hausfrau aus Yangon: "Ich vertraue ihr", sagt sie. "Nur Mutter Suu kann unser Land auf einen guten Weg bringen." Aber sie macht sich jetzt auch ein wenig Sorgen, weil Aung San Suu Kyi schon 70 Jahre alt ist und sie nicht das Gefühl hat, jemand könnte sie ersetzen.

Die NLD-Chefin führt in ihrer Partei ein strenges Regiment, wie Insider bestätigen. Mit Journalisten dürfen nur ausgewählte Vertraute sprechen. Manche kritisieren, dass so die innere Demokratie auf der Strecke bleibe, dass sie ihre eigenen Ideale verrate. Aber ihre Kritiker sagen das nur leise. Und manche respektieren, dass ihre Chefin jetzt nichts dem Zufall überlassen will. Als die Sonne sinkt, steigt Mutter Suu wieder in den Geländewagen mit dem Schiebedach. Als sie ankam zur Kundgebung, schaute sie stehend oben heraus und winkte. Jetzt sitzt sie bei halb geöffneten Scheiben auf dem Rücksitz und hält die Arme gesenkt. Der Wagen rollt langsam über die Brücke, die Straße ist voller Leute, die Massen teilen sich und geben eine Gasse frei für ihre Heldin. Einen Moment lang sind sie ihr ganz nah, sie winken durchs Fenster, sie schwenken Fähnchen und jubeln ihr zu. Aber Mutter Suu sitzt reglos da und blickt angestrengt geradeaus.

© SZ vom 06.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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