Auftrag an Gerhard Schröder:"Du musst dich um Russland kümmern"

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Die Freiheit, die er meint: Altkanzler Schröder redet über lange Gespräche mit Freund Wladimir, das Wunder der Aussöhnung - und über eine Bitte von Bill Clinton.

Matthias Kolb

Es ist wie im Märchen vom Hasen und dem Igel. Egal, wo sich Gerhard Schröder zur Lage in Russland äußert: Der "lupenreine Demokrat" ist immer schon da. Auch die Journalisten der Zeit wollen zu Beginn des aktuellen Interviews wissen, weshalb der Altkanzler diese Formulierung wählte, um Wladimir Putin zu beschreiben.

Wladimir Putin und Gerhard Schröder im September 2005 in Berlin. (Foto: Foto: AP)

"Da bin ich selbst gar nicht drauf gekommen", sagt Schröder und man sieht sein Haifisch-Grinsen vor dem inneren Auge. Der ARD-Talkmaster Reinhold Beckmann habe ihn im November 2004 in einer Live-Sendung gefragt, ob er Putin für einen solchen halte. "Ich war Kanzler und hatte im Kopf, du kannst jetzt nicht Nein sagen, denn das hätte bestimmte außenpolitische Implikationen zur Folge gehabt." Also stimmte er zu und seitdem werde ihm der Satz zugeschrieben. Doch Schröder hat nichts zu dementieren, egal wie oft ihm Journalisten dieses "Stöckchen" auch künftig hinhalten werden: "Ich habe die Person Putin klassifiziert, und ich habe nach wie vor keinen Zweifel an seiner demokratischen Integrität."

Russland, Freund Wladimir und die Journalisten - darum kreist das lange Gespräch, das Schröder kurz vor seinem 65. Geburtstag gegeben hat. Allzu viel Neues verrät der Altkanzler nicht: Ohne eine enge Partnerschaft mit Russland werde weder Deutschland noch die EU den Wohlstand bewahren können, man brauche Moskau für die Bewältigung zahlreicher außenpolitischer Herausforderungen und zudem sei Russland stets ein zuverlässiger Energielieferant gewesen.

Dass laut Umfragen jeder zweite Deutsche nicht verstehen kann, dass er sich so sehr auf Putin und die Russen eingelassen habe, schmerzt ihn nicht: "Und wenn 50 Prozent es noch nicht verstehen, dann verstehen es immerhin schon die anderen 50 Prozent." Als er 1998 Kanzler wurde, habe ihm Bill Clinton gesagt: "Du musst dich um Russland kümmern. Deutschland muss Russland zurück in die Weltpolitik holen." Gesagt, getan. Von Barack Obama erhofft sich Schröder eine Renaissance der amerikanisch-russischen Beziehungen.

Gas-Gerd und die sinnvolle Aufgabe

Wütend wird der Altkanzler, wenn ihm vorgehalten wird, von Gazprom bezahlt zu werden: Er sei Aufsichtsratschef eines europäischen Konsortiums, das aus zwei deutschen, einer russischen sowie einer niederländischen Firma bestehe. Er habe damit gerechnet, das "Gazprom-Etikett" verpasst zu bekommen, doch es überrasche ihn, wie wenig über die tatsächlichen Sachverhalte geredet werde. "Wenn ich für ein amerikanisches Großunternehmen tätig wäre, würden mir Lorbeerkränze geflochten." Es folgt das Mantra: Die Pipeline durch die Ostsee werde Deutschland sicherer machen, doch diese Meinung muss er ja vertreten.

Überraschend ist jedoch, dass Schröder sein Engagement auch auf eine andere Art erläutert: "Es ging für mich auch darum, eine Enttäuschung zu überwinden, darüber sollte ein Politiker auch ruhig mal reden." Nach der verlorenen Bundestagswahl 2005 suchte er nach einer sinnvollen Aufgabe und deswegen habe er schnell zugesagt, als Putin ihn gefragt habe, ob er diesen Posten übernehmen wolle.

Auf Wladimir Wladimirowitsch lässt Schröder nichts kommen. Schon beim ersten Treffen hätten die beiden mit den Ehefrauen in aller Offenheit bis morgens um fünf Uhr diskutiert: "Über Tschetschenien, über alles." Später habe man vereinbart, nichts in die Öffentlichkeit zu tragen. Putin gebühre das Verdienst, Russland nach den chaotischen Jelzin-Jahren stabilisiert zu haben. Wie so oft plädiert der Altkanzler dafür, die historische Entwicklung zu berücksichtigen und gerade in Deutschland mit dem moralischen Zeigefinger sparsam umzugehen: "So lange ist es nicht her, dass wir Demokratie lernen mussten."

Im Vergleich zu Schröders letzten Auftritten bei der Ebert-Stiftung in Potsdam oder vor der Arbeiterwohlfahrt in Berlin oder dem Spiegel-Interview nach dem Ausbruch des Kaukasus-Kriegs wirkt der 64-Jährige weniger selbstgerecht. Die "Ich erkläre euch nun die Welt"-Haltung ist reduzierter ausgeprägt, zumal Themen angesprochen werden, die in den Vorträgen höchstens am Rande vorkommen.

"Ich würde mir auch eine muntere Auseinandersetzung wünschen"

Dass Journalisten und Menschenrechtler in Russland gefährlich leben und Kritiker wie Anna Politkowskaja oder Anastasia Baburowa sogar ermordet werden, mache "jeden betroffen, auch mich". Doch der Altkanzler hat kein Verständnis dafür, dass hinter jeder Tat eine Beteiligung der Regierung vermutet werde: "Ich weise nur darauf hin, dass viele Verbrechen auch in anderen Ländern nicht aufgeklärt werden, ohne dass gleich vermutet wird, die Staatsführung habe daran kein Interesse."

Natürlich gebe es Korruption, es fehle an Rechtsstaatlichkeit und "in den elektronischen Medien würde ich mir auch eine muntere Auseinandersetzung über die politischen Zustände wünschen" - im Riesenreich sind alle TV-Sender staatlich kontrolliert und zugleich für viele Bürger die einzige Informationsquelle. Hingegen stimmt es laut Schröder nicht, dass die gedruckten Medien die russische Regierung nicht kritisieren würden: "Das tun sie."

Im Ganzen halte er Russland noch nicht für eine "lupenreine Demokratie", erklärt der Altkanzler - und unterstützt wieder eine fremde Formulierung. Genauso äußerte sich jüngst Schröders alter Vertrauter Frank-Walter Steinmeier. Der heutige Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat wird sich ebenso wenig beschweren wie Reinhold Beckmann.

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