Aufruhr in Afghanistan:Proteste greifen auf viele Provinzen über

Lesezeit: 3 min

Es ist längst nicht mehr nur die Hauptstadt Kabul, in der aufgebrachte Afghanen gegen den Westen demonstrieren, nachdem Koran-Ausgaben auf einer US-Militärbasis verbrannt wurden: In mindestens sechs Provinzen werden Proteste, Verletzte, Tote gemeldet. In Baglan versucht eine aufgebrachte Menge, ein Isaf-Feldlager zu stürmen.

Die Proteste gegen die Verbrennung von Koran-Ausgaben auf der amerikanischen Militärbasis Bagram halten nun bereits vier Tage an - und haben erneut Todesopfer gefordert.

Demonstranten in Kabul skandieren anti-amerikanische Slogans. An vielen Orten in ganz Afghanistan formieren sich Protestzüge. (Foto: AFP)

In der Hauptstadt Kabul sind zwei Menschen erschossen worden. Wie die Polizei mitteilte, wurde ein Mann von bewaffneten Demonstranten im Osten der Stadt getötet. Wer die tödlichen Schüsse auf den zweiten Mann abgefeuert hat, war zunächst unklar. Trotz der massiven Präsenz von Sicherheitskräften waren Hunderte aufgebrachte Afghanen zum Präsidentenpalast gezogen. Die Menge skandierte "Tod für Amerika". Sicherheitskräfte schossen in die Luft, um die Menge auseinanderzutreiben.

In der westafghanischen Stadt Herat wurden ebenfalls drei Demonstranten und ein Soldat bei Ausschreitungen getötet, sagte der Sprecher der Provinz Herat der Nachrichtenagentur AFP. Zwei Menschen seien gestorben, als die Protestteilnehmer versucht hätten, das örtliche US-Konsulat zu stürmen. "Einige Demonstranten versuchten, den Polizisten die Waffen wegzunehmen", sagte ein Vertreter der Sicherheitskräfte, der nicht namentlich genannt werden wollte, zu dem Vorfall am US-Konsulat in Herat.

Bundeswehr räumt Außenposten

Auch an anderen Orten kamen Menschen zu Protesten zusammen. In der Stadt Dschalalabad im Osten des Landes (Provinz Nangarhar) versammelten sich etwa 700 Demonstranten, nach anderen Schätzungen könnten es auch Tausende Demonstranten gewesen sein. Die Menge rief "Tod für Amerika" und verbrannte ein Bild von US-Präsident Barack Obama. Weitere Protestmärsche formierten sich in den Provinzen Ghasni im Südosten und Chost im Osten. Dort beteiligten sich nach Polizeiangaben etwa 4000 Menschen.

Die Proteste richten sich gegen alle Isaf-Truppen. Ein Demonstrant ist getötet worden, als Aufrührer versucht hätten, ein ungarisch geführtes Feldlager in der nordafghanischen Provinz Baglan zu stürmen, sagte der örtliche Vize-Polizeichef Samanuddin Husaini. Elf Menschen seien bei dem Zusammenstoß in der Provinzhauptstadt Pol-e Chomri verletzt worden, darunter vier Polizisten und vier Soldaten. Husaini sagte, mehr als 1000 Demonstranten hätten sich vor dem ungarischen zivil-militärischen Wiederaufbauteam (PRT) versammelt, wo auch Soldaten aus Albanien, Kroatien und Montenegro stationiert sind.

Baglan gehört zum Verantwortungsbereich der Bundeswehr, und auch deutsche Soldaten haben bereits die direkten Folgen der aufgestachelten Atmosphäre zu spüren bekommen. Wegen der gewaltsamen Proteste haben sich deutsche Soldaten komplett aus ihrem Stützpunkt Talokan zurückgezogen. Allerdings sollte das Lager im März ohnehin geräumt werden.

Militärbeobachter hatten im Vorfeld einen "heißen Freitag" erwartet. Mindestens ein Prediger rief in der Hauptstadt bei dem Freitagsgebet dazu auf, erneut gegen die Koran-Verbrennung zu protestieren. Auch die Taliban hatten in den vergangenen Tagen wiederholt zur Tötung ausländischer Soldaten in Afghanistan aufgerufen - der Zorn wird immer wieder angefacht.

Angesichts der prekären Lage hat die pakistanische Regierung die in Afghanistan kämpfenden Taliban erstmals offiziell dazu aufgefordert, sich an einem Friedensprozess zu beteiligen. "Es ist jetzt an der Zeit, ein neues Kapitel in der Geschichte Afghanistans aufzuschlagen", hieß es in einer Mitteilung. Islamabad befürworte eine nicht-militärische Lösung des Konflikts im Nachbarland.

Die US-Regierung und Vertreter der afghanischen Behörden hatten bereits mit einer Entschuldigung versucht, die explosive Stimmung zu entschärfen. Allerdings blieben die Bemühungen bislang erfolglos: "Uns ist Obamas Entschuldigung egal", sagte ein 25-jähriger Demonstrant in Kabul. "Wir müssen protestieren, um unserem Gott gegenüber verantwortlich zu sein. Sie verbrennen unseren Koran. Eine Entschuldigung reicht nicht aus", sagte er.

Bei den Ausschreitungen kamen bislang fast zwanzig Menschen ums Leben, darunter zwei US-Soldaten. Nato-Kommandeur John Allen rief die Afghanen nach der Koranverbrennung zu Geduld und Zurückhaltung auf. Derzeit werde der Vorfall untersucht, hieß es in einer Stellungnahme.

Wütender Arbeiter schildert Koran-Verbrennung

Der Koran gilt den Muslimen als direktes Wort Gottes und die Verbrennung des Buches als Gotteslästerung. Die Schilderung von Arbeitern, nach denen US-Soldaten bei dem Vorfall besonders ignorant vorgegangen sind, dürfte kaum zur Beruhigung beitragen. Der afghanische Arbeiter Sajed Dschamil berichtete einem Reporter von dem Vorfall, der die massiven Proteste ausgelöst hat. Er habe am Montag an der Müllverbrennungsanlage der US-Basis gearbeitet, als drei US-Soldaten mit einem Lastwagen voller religiöser Schriften vorfuhren. Während der Laster vor dem Tor hielt, bemerkte ein weiterer Arbeiter auf der Ladefläche Exemplare des Korans, die die Amerikaner in einen Ofen warfen.

Die Arbeiter seien daraufhin zum Ofen gestürmt, um die US-Soldaten aufzuhalten. "Die Amerikaner sagten, es sei Material aus Gefängnissen und sie hätten Anweisung, es zu entsorgen", erinnerte sich der 22-jährige Arbeiter. Die Afghanen hätten mit den Händen in den Ofen gegriffen, um die Texte zu retten. Einige hätten sich Finger und Hände verbrannt, als sie acht Exemplare des Korans aus den Flammen bargen. Erst hätten die amerikanischen Soldaten den Arbeitern erlauben wollen, die angesengten Überreste der heiligen Schriften mitzunehmen. Übersetzer warnten dann vor den Folgen. Letztlich liefen die Arbeiter mit Fragmenten der heiligen Schrift auf die Straße - der Protest weitete sich von da an immer weiter aus.

Insgesamt dauerte die Verbrennung der heiligen Bücher nach Augenzeugenberichten nicht mehr als fünf Minuten, aber sie könnte die internationalen Truppen in ihrem Bemühen um eine Befriedung Afghanistans weit zurückwerfen.

© Reuters/AFP/dpa/grc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: