Attentatsopfer Gabrielle Giffords:Ein Märchen, das Feinde versöhnt

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Gabrielle Giffords hat im US-Kongress nicht nur für das billionenschwere Sparpaket gestimmt, sie hat die Abgeordneten auch für einen Moment den erbitterten Streit über die Schuldengrenze vergessen lassen. Ganz Amerika nimmt gerührt Anteil an der Genesung der Demokratin - als könnte sich die gebeutelte Nation an ihrem Überlebenswillen aufrichten.

Christian Wernicke, Washington

Es sei, so gestand hinterher ein gerührter Kollege von Gabrielle Giffords, "der erste helle Moment nach Tagen der Dunkelheit" gewesen: Jener Augenblick am frühen Montagabend, als diese hagere Frau mit dem fremden Kurzhaarschnitt in den Saal des Repräsentantenhauses trat und, gestützt von einer Mitarbeiterin, sehr langsam an ihren Platz ging.

Beifall schwoll an, da mehr und mehr Abgeordnete sie erkannten, und als Giffords lächelnd die linke Hand erhob und Republikanern wie Demokraten zuwinkte, brach lauter Jubel aus. Dann hat die Abgeordnete aus Arizona ihre Pflicht getan: Sie hat ja gesagt - ein Ja zu dem billionenschweren Sparpaket, das ihre Nation vor dem Ruin retten soll. Und Ja zu ihrem zweiten Leben.

"Gabby" ist zurück. Gabby, so nennen sie fast alle - in Washington, wo die Demokratin seit 2003 als Kongressabgeordnete dient, wie auch in Tucson, ihrer Heimatstadt. Dort ist es passiert, vor fast acht Monaten: Ein offenbar geistesgestörter Attentäter schoss ihr in den Kopf, und tötete sechs Menschen. Giffords überlebte wie durch ein Wunder.

Kurz flammte damals eine Debatte auf, ob der rabiate, bisweilen hasserfüllte Ton in Amerikas politischer Debatte das Klima für ein solches Blutbad geschaffen habe. Solche Gedanken sind vergessen, die Schützengräben, aus denen sich beide Lager im aktuellen Schuldenstreit bekämpften, schienen tiefer denn je. Einig und ehrlich gerührt aber hat ganz Amerika die Genesung von Giffords verfolgt: Jede Operation, jeder therapeutische Fortschritt löste Wellen der Sympathie aus.

Fast schien es, als könne der zähe Überlebenswille dieser 41-jährigen Frau einer von Krisen und Kriegen gebeutelten Nation helfen, sich an sich selbst aufzurichten. Der Gang ins Plenum des Kongresses war Giffords erster öffentlicher Auftritt seit dem Attentat. Sie wirkte zerbrechlich, ihre rechte Körperhälfte ist weiterhin partiell gelähmt, mehr als kurze Worte kann sie nicht sprechen. Aber sie versteht.

Als Nancy Pelosi, die demokratische Fraktionschefin, sie euphorisch als "Personifikation des Mutes" im Saal begrüßte, da zeigte sie wieder jenes Lächeln, dass viele im Kongress seit dem Horror des 8. Januars 2011 vermisst haben. Das Hohe Haus kannte keine Parteien mehr, als Pelosi fortfuhr: "In ganz Amerika gibt es keinen Namen, der mehr Liebe, mehr Bewunderung, mehr Respekt und mehr Wünsche auslöst, dass unsere Töchter so seien wie sie." Da haben sich alle, ob Tea-Party-Aktivist oder Linksdemokrat, eine Träne aus dem Augenwinkel gewischt.

Das Schöne an diesem Märchen aus Washington ist, dass Giffords schon früher lebte, wofür sie heute steht. Diese lebensfrohe, moderate Demokratin überwand stets die Lagergrenzen. Sie gehört zur seltenen Spezies jener Abgeordneten, deren Votum nicht immer vorhersehbar ist: Sie stimmte für das Frauenrecht auf Abtreibung, aber gegen jedes Gesetz zur Beschränkung des Waffenbesitzes.

Nachdem sie am Wochenende im Fernsehen gesehen hatte, wie der Kongress sich erneut zerfleischte, war sie Montagmorgen nach Washington geflogen. An einer, an ihrer Ja-Stimme sollte der Billionen-Kompromiss nicht scheitern. Es reichte.

© SZ vom 03.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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