Atomwaffen:Fatale Versuchung

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Bei seinem Besuch in Hiroshima hat US-Präsident Barack Obama wieder für die Vision einer Welt ohne Atomwaffen. Der Weg bis dahin ist noch weit, sofern dieses Ziel überhaupt je erreicht werden wird. Aber es ist trotzdem richtig, es beharrlich zu verfolgen.

Von Stefan Ulrich

Sie nannten sie Little Boy, die Atombombe, welche die USA 1945 über Hiroshima abwarfen. Die Namensgebung war so menschenverachtend wie der erste Einsatz einer Nuklearwaffe selbst. Am Tag der Explosion und in den Monaten danach starben 140 000 Menschen an Little Boy - fast alle waren Zivilisten. Das mörderische Signal kam an. Japan kapitulierte bald darauf, und die Sowjetunion wusste nun, dass es gefährlich war, die Amerikaner zu reizen. Militärisch und politisch war die Bombe ein Erfolg. Rechtlich und moralisch war sie ein Verbrechen.

Diesen Freitag hat nun erstmals ein amtierender US-Präsident Hiroshima besucht. Spät, aber immerhin. Barack Obama entschuldigte sich zwar nicht ausdrücklich für den Atomschlag, aber er nutzte die Erinnerung an die Schrecken von Hiroshima, um für eine Vision zu werben, die er am Anfang seiner ersten Amtszeit offenbart hatte: Global zero - eine Welt ohne Atomwaffen.

Allerdings ist Obama als Realpolitiker weder so erfolgreich noch so edel wie als Visionär. So ist die globale nukleare Bedrohung in seinen bisherigen sieben Jahren im Weißen Haus größer geworden. Gewiss: Die Zahl der Atom-Gefechtsköpfe hat abgenommen, wenn auch nicht mehr so stark wie unter seinen Vorgängern George W. Bush und Bill Clinton. Auch haben die USA unter Obama mit Russland einen nuklearen Abrüstungsvertrag namens New Start geschlossen. Und mit Iran wurde ein Atom-Deal ausgehandelt, dessen Wert sich noch erweisen muss.

Negativ schlägt dagegen zu Buche, dass die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes gestiegen ist. Die Vereinigten Staaten, Russland und China rüsten ihre Nukleararsenale massiv auf. In ihren Labors wird an kleineren, präziseren und damit bei einem Einsatz leichter beherrschbaren Atomwaffen gebastelt. Dies könnte im Ernstfall die Hemmschwelle sinken lassen. Zudem gehört es heute wieder zur Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln, mit der Bombe zu drohen. Das Regime in Nordkorea will sich so das Überleben sichern. Russland möchte dem Westen in der Ukraine-Krise Angst einjagen. Derweil plant China, U-Boote mit Atomraketen in den Pazifik zu schicken, um die USA im Streit über Inselgruppen im Südchinesischen Meer zu beeindrucken.

Die Angst vor dem globalen Suizid der Menschheit, die im Kalten Krieg die beiden Atomblöcke zur Vernunft zwang, wirkt in einer multipolaren Nuklearwelt längst nicht mehr so stark. Je mehr Mächte mitrüsten, desto eher droht ein Atomschlag. Dies gilt umso mehr, als weltweit der Trend hin zu fundamentalistischen Autokratien geht. Einen egomanischen Diktator oder ein Regime religiöser Fanatiker wird ein Weltenbrand kaum schrecken. Zugleich machen es der technische Fortschritt, der Schwarzhandel und die Spionage leichter, sich zum Herrn der Bombe aufzuschwingen. Und die Eroberung der ukrainischen Krim durch Russland hat allen Staaten gezeigt, wie verletzbar sie sind, wenn sie darauf verzichten.

Was also tun? Es gilt, Obamas Vision mit beharrlicher Realpolitik zu folgen. Die Weltgemeinschaft muss den öffentlichen Druck steigern, um Atomaspiranten zu stoppen und bestehende Atommächte zur stetigen Abrüstung zu zwingen. Dabei wird es Rückschläge geben. Sie dürfen nicht zur Resignation führen.

Als die Menschheit sich des Feuers bemächtigte, züchtigte sie Zeus, indem er ihr Pandora mit ihrer Büchse schickte. Falls die Menschen nach Hiroshima und Nagasaki noch einmal das nukleare Feuer entfesseln, dürfte es keinen Gott mehr brauchen, um sie zu bestrafen.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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