Atomstreit mit Iran:"Alles tanzt nach Ahmadinedschads Pfeife"

Lesezeit: 2 min

Irans Staatschef hält sich für auserwählt, sagt Iran-Forscher Michael Pohly. Ahmadinedschads Brief an US-Präsident Bush sei "mehr oder weniger Show", aber durchaus für beide Seiten von Nutzen.

Oliver Das Gupta

sueddeutsche.de: Die Amerikaner haben den Brief von Irans Präsidenten Ahmadinedschad als "nutzlos" bezeichnet. Ist er das tatsächlich?

Präsident Mahmud Ahmadinedschad (Foto: Foto: AP)

Pohly: Er ist eine bemerkenswerte Geste. Immerhin beendet das Schreiben 27 Jahre Sprachlosigkeit auf der obersten Ebene zwischen Iran und den USA.

Auf der anderen Seite enthält der Brief sehr allgemein gehaltene Positionen und vor allem sehr viele Vorwürfe gegen die USA, die in dieser Form völlig undiplomatisch sind. Ich glaube nicht, dass der Brief weiterführt.

sueddeutsche.de: Warum hat Ahmadinedschad diesen Brief überhaupt geschrieben?

Pohly: Ahmadinedschad hat derzeit das Heft in der Hand und führt die UN und die USA an der Nase herum. Im Moment tanzt alles nach seiner Pfeife. Er ist derjenige, der die Vorhand spielt, die anderen müssen parieren.

Der Brief passt gut in diese Strategie. So kann Ahmadinedschad seinen Landsleuten sagen: Schaut hin, ich bin über meinen Schatten gesprungen, ich habe direkt an Bush geschrieben.

sueddeutsche.de: Die aufkommende Kritik aus den eigenen Reihen kann er damit also eindämmen?

Pohly: So ist es. Ahmadinedschad kann sich zurücklehnen und sagen: Ich habe es ja probiert.

Der Brief enthält noch einen zweiten Aspekt. Ahmadinedschad versucht damit zu zeigen, dass es sich eigentlich um ein iranisch-amerikanisches Problem handelt und der Rest der Welt egal ist. Er will den Streit auf eine bilaterale Ebene verlagern. Und er will offenbar den Konflikt personalisieren, damit es heißt: Ahmadinedschad gegen Bush.

sueddeutsche.de: Also: Irans Staatschef sieht sich mit dem US-Präsident auf einer Augenhöhe?

"Bush kann sich zurücklehnen, schließlich hat er versucht, im Sicherheitsrat eine Resolution im Konsens hinzubekommen" - der US-Präsident bei einem Auftritt in Florida am 9. Mai 2006 (Foto: Foto: AP)

Pohly: Natürlich. Ahmadinedschad hält sich für auserwählt, dem Iran Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und die richtigen Vorstellungen der Revolution zu implementieren, die von den Mullahs seiner Meinung nach verraten worden sind. Das ist auch der Grund, weshalb der Präsident unter den Mullahs nicht allzu beliebt ist.

Ahmadinedschad sieht den Iran als das einzige Land, das unabhängig von amerikanischem Einfluss ist und frei in seiner Entscheidung.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von der Variante, dass der Iran durch den Brief Smalltalk betreiben will, um eine Gesprächsatmosphäre aufzubauen?

Pohly: Wenn man an Smalltalk interessiert wäre, hätte man das schon längst über die Ebene Afghanistan oder Irak eintüten können. Die Amerikaner hatten sich in der Vergangenheit immer wieder mit den Iranern getroffen. Selbst in Deutschland gab es mehrere Gespräche, die - stillschweigend - am Rande von Konferenzen gelaufen sind.

Man ist auf US-Seite aber dann davon abgekommen, als man sah, dass sich der frühere Präsident Chatami mit seinen Reformbestrebungen nicht durchsetzen konnte. Die Diskussion ging danach in den USA in Richtung Regime-Wechsel.

sueddeutsche.de: Ahmadinedschad erwartet ja eine Antwort auf den Brief. Wie sollte sie ausfallen?

Pohly: Iran erwartet vermutlich nicht die Aufnahme eines Dialogs. Man will mehr oder weniger die Show, man will den anderen für die Festigung der eigenen Position benutzen.

Der Brief dient durchaus auch der US-Seite: Schließlich ist in dem Dokument nichts zum Atomstreit enthalten, es werden keine Vorschläge gemacht, keine Vermittler genannt.

Auch Bush kann sich zurücklehnen, schließlich hat er versucht, im Sicherheitsrat eine Resolution im Konsens zu erreichen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem er sagen kann: Es bringt alles nichts, lasst uns eine Koalition der Willigen bilden.

Beide Seiten haben durch diesen Brief die Möglichkeit bekommen, ihre Konzepte weiterzuverfolgen.

Michael Pohly, 50, ist promovierter Mediziner und Ethnologe und lehrt am Institut für Iranistik an der Freien Universität Berlin. Pohly ist Autor einer Biographie über Osama bin Laden.

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