Brüderle und das Moratorium:Merkels Glaubwürdigkeits-GAU

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Rainer Brüderles Dementis machen alles nur noch schlimmer: Die Regierung verliert mit den Aussagen des liberalen Wirtschaftsministers zu Moratorium und Wahlkampf ihre Glaubwürdigkeit. Opportunismus ist nicht mehr opportun, wenn es um politische Kernfragen geht.

Heribert Prantl

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat den Leuten von der Atomindustrie erzählt, sie müssten die neue Atompolitik der Bundesregierung nicht so ernst nehmen. Es sei halt, nun ja, Wahlkampf. Damit hat er der Katze die Schelle umgebunden. Nun klingelt es immer, wenn die Kanzlerin und ihre Parteifreunde von ihrer Lehre aus Japan, von einer Zäsur und von einer Kehrtwende reden.

Kanzlerin Angela Merkel und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle sitzen in der Falle der doppelten Unglaubwürdigkeit: Man ist unglaubwürdig bei denen, die die Atomtechnik für verantwortungslos halten, aber auch bei denen, die diese für im Prinzip verantwortbar halten. (Foto: picture alliance / dpa)

Viele Wähler nehmen diese Klingelei als Verlautbarung und als Bestätigung dessen, was sie ohnehin geargwöhnt hatten - dass das sogenannte nukleare Moratorium nicht von innerer Einsicht, sondern nur von kurzfristiger Taktik getragen sei. Erschreckt vom großen Geläute versucht Brüderle nun, zu dementieren. Aber das macht es nur noch schlimmer und lauter.

Der Wahlkampf im Süden erinnert jetzt, mitten in der Fastenzeit, an die alemannische Fastnacht; dort tragen die Figuren Schellenkostüme. Solche Klingelei macht den Narren glaubwürdig, den Politiker nicht. Die klingende Unglaubwürdigkeit ist eine Katastrophe für Angela Merkel, für ihre Regierung, für den Landtagswahlkampf von Union und FDP.

Sie sitzen in der Falle der doppelten Unglaubwürdigkeit: Man ist unglaubwürdig bei denen, die die Atomtechnik für verantwortungslos halten; man ist unglaubwürdig aber auch bei denen, die diese für eine im Prinzip verantwortbare Technik halten. Merkel und Co. sind unglaubwürdig sowohl bei jenen, die mit der Kernkraft weiterarbeiten als auch bei jenen, die aus ihr schnellstens aussteigen wollen. Die einen haben ihre Zweifel wegen der Reden, die Merkel und Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus jetzt führen; die anderen haben ihre Zweifel wegen der Absicht, die sie hinter deren Reden vermuten.

Es höhnen die Gegner der Union. Es zweifeln aber auch ihre Mitglieder, Anhänger und Wähler, weil sie nicht mehr wissen, was sie glauben sollen. Das ist ein Glaubwürdigkeits-GAU. Merkel hat es sich mit allen verdorben.

Der Opportunismus geht zum Regieren, bis er bricht. Politiker können zwar im normalen Geschäft konsequent inkonsequent sein, ohne dass ihnen der Wähler das dauerhaft ankreidet; das Reden von der Wichtigkeit der Glaubwürdigkeit ist oft eine Art Selbstbefriedigung der Öffentlichkeit.

Politik strotzt daher von Widersprüchen; zumal die Kanzlerin hat es zu ihrem Markenzeichen gemacht, erst so und dann anders und dann wieder so zu entscheiden: Wie es euch gefällt. Das funktioniert, hat aber Grenzen; die Kanzlerin hat sie überschritten. Opportunismus ist nicht mehr opportun, wenn es um die politischen Kern- und Glaubensfragen geht; die Nutzung der Atomkraft gehört dazu.

Die Kanzlerin hätte hier entweder vorsichtiger agieren müssen, indem sie nicht von einem "Moratorium", sondern von einer bloßen "Denkpause" gesprochen hätte. Oder sie hätte bekennen müssen, dass sie sich bei ihrer bisherigen Bewertung der Atomkraft geirrt hat. Sie wollte in aller Entschiedenheit unentschieden bleiben. Das ist entschieden missglückt.

© SZ vom 25.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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