Atomdebatte in Deutschland:Deutsche AKW - eine Panne pro Monat

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Die Technik der Meiler Neckarwestheim 1, Unterweser, Philippsburg 1 und Isar 1 ist überholt und fehleranfällig - und die Reaktoren von Biblis wären bei einem Erdbeben nur schwer unter Kontrolle zu bringen.

Martin Kotynek

Eine Betriebsgenehmigung würden sie heute alle nicht mehr bekommen. Die Technik im Inneren der sieben Atomkraftwerke, die nun vom Netz genommen werden sollen, ist ein Relikt aus den 1960er Jahren. Seit ihrer Konzeption ist sie heillos veraltet, das heißt: mehr Pannen, weniger Sicherheit, höheres Risiko. Gebaut wurde das älteste der Kraftwerke, Biblis A, in den frühen 1970er Jahren.

Alt und fehleranfällig: Das Atomkraftwerk Philippsburg in Baden-Württemberg, einer der sieben Meiler, die nach dem Willen der Bundesregierung abgeschaltet werden sollen. (Foto: AFP)

Zwar wurden die Sicherheitssysteme seither immer wieder nachgerüstet, aber an das Niveau der jüngeren Anlagen kommen Neckarwestheim 1, Biblis A und B, Unterweser, Brunsbüttel, Philippsburg 1 und Isar 1 nicht heran. Bei den älteren Kraftwerken kommt es im Durchschnitt einmal pro Monat zu einer Panne. Ihre grundsätzlichen Mängel lassen sich durch Nachbesserungen aber nicht mehr ausmerzen - sie sind unabänderlich eingebaut.

Nur wenige Zentimeter sind es, die bei den Alt-Meilern die Umwelt bei einem Störfall vor Verstrahlung schützen sollen. Die Wand des sogenannten Containments, des Sicherheitsbehälters, der den Reaktordruckbehälter umschließt, ist oft sehr dünn. Bei Überdruck kann der Behälter daher leichter versagen, bei einer Kernschmelze kann er schneller durchschmelzen als bei neueren Anlagen mit dickeren Wänden. Beinahe schutzlos ausgeliefert sind die Alt-Meiler auch einem Flugzeugabsturz. Die Reaktorkuppeln der Kraftwerke Biblis A, Brunsbüttel und Philippsburg1 sind beispielsweise so dünn, dass sie bestenfalls dem Absturz eines leichten Sportflugzeuges standhalten.

Neuere Anlagen sind immerhin für den Absturz eines Kampfflugzeuges vom Typ Phantom gerüstet. Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, warnte schon vor sieben Jahren vor dieser Gefahr - passiert ist seither fast nichts. Vor einem gezielten Terrorangriff mit einem vollgetankten Verkehrsflugzeug sind allerdings nicht einmal die jüngsten deutschen Anlagen geschützt. Erst mit den Anschlägen vom 11.September 2011 wurde diese Frage relevant.

Je älter die Meiler sind, desto fehleranfälliger sind auch viele Sicherungssysteme. So sind etwa die Stränge der Notstromversorgung bei Alt-Anlagen nicht sauber voneinander getrennt, die einzelnen Systeme müssen sich wichtige Komponenten teilen. Bei einem Störfall können sich die einzelnen Systeme so gegenseitig beeinträchtigen.

Die sieben Meiler gehören zu den beiden ältesten Reaktortypen, die in Deutschland noch Strom produzieren: Die weitgehend baugleichen Anlagen Philippsburg1, Isar1, Brunsbüttel und Krümmel sind sogenannte Siedewasserreaktoren der Baulinie 69. Auch das japanische Kraftwerk Fukushima 1 enthält sechs Siedewasserreaktoren.

Bei dem in Deutschland eingesetzten Bautyp 69 steht bei einem Störfall weniger Wasser für die Notkühlung zur Verfügung als bei neueren Anlagen. Zudem wurden die Schmiederinge des Reaktordruckbehälters in den siebziger Jahren so geschweißt, dass viele Schweißnähte nötig waren. An ihnen können Risse entstehen. Der Sicherheitsbehälter wurde wiederum sehr eng konzipiert, wodurch Studien zufolge teils nur 90 Minuten Zeit bleiben, um den Reaktor bei einem Druckanstieg unter Kontrolle zu bringen, bevor der Behälter birst.

Die vier anderen Alt-Meiler Neckarwestheim 1, Biblis A und B sowie Unterweser sind sogenannte Druckwasserreaktoren der zweiten Generation. Sie wurden gut zwanzig Jahre vor den neuesten Anlagen der vierten Generation, wie etwa Isar2, konzipiert. Auch bei ihnen ist der schwach ausgelegte Sicherheitsbehälter das größte Manko. Zudem wurden wichtige Behälter und Rohre des radioaktiv kontaminierten Kühlkreislaufs nicht überall in einem Stück gefertigt, so dass sie leichter brechen können. Geschieht das, ist die ständig nötige Kühlung des Reaktorkerns gefährdet, schreibt das Bundesamt für Strahlenschutz in einer Analyse von Altanlagen.

Bei Neckarwestheim 1 kommt hinzu, dass die vier Notkühlsysteme nicht räumlich voneinander getrennt sind - ein weiteres Risiko im Notfall. Und bei Biblis A und B kritisieren Umweltschützer, dass die beiden Kraftwerke die einzigen in Deutschland seien, die nicht über ein unabhängiges Notstandssystem verfügen. Wenn wichtige Teile des Reaktors etwa durch ein Erdbeben zerstört werden, lasse sich die Anlage so nur schwer unter Kontrolle bringen.

Für Umweltschützer wäre es daher ein großer Erfolg, wenn die Alt-Meiler dauerhaft vom Netz müssten.

© SZ vom 16.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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