Atomausstieg:Energieagentur warnt vor deutschem Alleingang

Lesezeit: 3 min

Die CSU peilt den Ausstieg aus der Kernkraft im Jahr 2022 an, auch Kanzlerin Merkel begrüßt diesen Zeitplan. Nur im Ausland regt sich Kritik: Nach Ansicht der internationalen Energieagentur könnte Deutschland damit die europäische Versorgungssicherheit aufs Spiel setzen.

Die deutschen Pläne für einen baldigen Atomausstieg stoßen innerhalb der Europäischen Union auf Kritik: Der Direktor der Internationalen Energieagentur (IEA) mit Sitz in Paris warnt, dass ein deutscher Alleingang beim Atomausstieg die Versorgungssicherheit in ganz Europa gefährde.

Debatte um die Energiewende: Der Direktor der Internationalen Energieagentur warnt Deutschland vor einem Alleingang. (Foto: dpa)

Im Interesse der Region sollte die Bundesrepublik deshalb eine gemeinschaftliche Entscheidung in der EU anstreben, sagte IEA-Exekutivdirektor Nobuo Tanaka der Financial Times Deutschland (FTD), denn: "Sonst werden Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit in ganz Europa geopfert." Deutschlands Politik betreffe angesichts des Energie-Binnenmarktes ganz Europa. "Es geht nicht um ein deutsches, es geht um ein europäisches Problem."

Deutschlands eigene Versorgungssicherheit selbst werde sinken, weil das Land zunächst mehr Elektrizität und später mehr Gas oder Kohle als geplant importieren müsse. "Die Abhängigkeit von anderen Ressourcen wird zunehmen", erklärt Tanaka. Nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima I rechnet die IEA allerdings nicht nur wegen des deutschen Verhaltens damit, dass die Bedeutung der Kernkraft für die Stromversorgung abnehmen werde.

Tanaka sagte der FTD, man werde in die Planungen seiner Organisation ein Szenario aufnehmen, in dem der Anteil der Kernkraft an der weltweiten Stromproduktion des Jahres 2035 statt 14 Prozent nur zehn Prozent betragen werde. Dieses Szenario biete weniger weltweite Versorgungssicherheit und sei teurer für die Verbraucher, weil dann mehr Strom aus Gas und aus erneuerbaren Energien erzeugt werden müsse. Allerdings räumte der aus Japan stammende IEA-Chef ein, dass auch mit den neuen Atomkraftwerken, die für das alte Szenario notwendig gewesen wären, der Strom teurer werde. Nach dem Zwischenfall in Fukushima sei es aber unvermeidlich, dass die Sicherheitsstandards erhöht würden.

Am Wochenende hatte sich die CSU als erste Regierungspartei auf ein konkretes Ausstiegsdatum festgelegt: Sie peilt das Jahr 2022 an. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte den Beschluss, ohne sich selbst auf eine konkrete Jahreszahl festlegen zu wollen. Die Opposition pocht auf einen früheren Ausstieg und hält der schwarz-gelben Bundesregierung vor, bei ihren Plänen nicht konsequent zu sein.

Sigmar Gabriel warf der Koalition Konzeptionslosigkeit beim Atomausstieg vor. Die SPD halte ein Abschalten aller Kernkraftwerke zwischen 2015 und 2020 für möglich. Gabriel machte zudem eine erneute Suche nach einem Atommüll-Endlager zur Bedingung für einen Konsens über die künftige Energiepolitik. In der Bild am Sonntag forderte er Bayern auf, den Widerstand dagegen aufzugeben.

Die CSU will hingegen an der Erkundung des Salzstocks Gorleben festhalten. "Ein Endlager wird es in Bayern nicht geben", sagte Generalsekretär Alexander Dobrindt der Süddeutschen Zeitung. Dies habe geologische Gründe.

Linke-Chefin Gesine Lötzsch forderte einen Atomausstieg bis 2014. Die Grünen warfen Merkel vor, in der Atomausstiegs-Debatte "einen Schritt vor anzudeuten und drei zurückzumarschieren". Ein konsequenter Ausbau der erneuerbaren Energien lasse technisch und rechtlich einen Ausstieg bis spätestens 2017 zu. Er erwarte, dass Merkel bei dem nächsten Treffen der Partei- und Fraktionschefs am 30. Mai ein verhandlungsfähiges Angebot vorlege, das ein festes Ausstiegsdatum vorsehe, sagte Trittin.

Unterdessen ging das Atomkraftwerk Emsland in Niedersachsen wegen planmäßiger Wartungsarbeiten vom Netz. Damit liefern für etwa eine Woche nur noch vier der 17 deutschen Atommeiler Strom. Wegen des Atommoratoriums stehen bereits acht AKW still - in fünf weiteren gibt es Wartungsarbeiten. Am Netz sind noch Isar II und Gundremmingen C (Bayern), Brokdorf (Schleswig-Holstein) und Neckarwestheim II (Baden-Württemberg). Gundremmingen B soll um den kommenden Donnerstag herum wieder hochgefahren werden.

Die Betreiber der deutschen Stromnetze warnten unterdessen vor großflächigen Blackouts infolge einer Abschaltung älterer Atomkraftwerke: Vor allem im Winterhalbjahr seien die Mittel zur Erhaltung der Systemstabilität "weitgehend erschöpft", teilten die vier Betreiberfirmen 50Hertz, Tennet, EnBW Transportnetze und Amprion mit. "Großflächige Versorgungsausfälle" seien wahrscheinlicher denn je, heißt es in der Mitteilung. Vor allem an sehr kalten Wintertagen mit wenig Windstrom könne es eng werden, insbesondere in Süddeutschland.

Die Bundesregierung wies derartige Befürchtungen zurück: Zwar nehme man die Warnungen der Stromnetzbetreiber ernst, hieß es aus dem Umweltministerium von Norbert Röttgen (CDU). Die Lage sei "schwierig, aber beherrschbar", betonte eine Sprecherin. Für einen Übergangszeitraum müssten hocheffiziente Kohlekraftwerke mehr Strom liefern. Auch die "Kaltreserve" - stillgelegte Kohlekraftwerke - könnten reaktiviert werden.

© sueddeutsche.de/Reuters/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: