Asylbewerber:15 000 Mal Alias

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Eine Mitarbeiterin im Urkundenlabor des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge prüft einen Reisepass unter UV-Licht. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat Asylbewerber mit gefälschten Pässen über Jahre hinweg nicht den zuständigen Polizeibehörden gemeldet.

Von Lena Kampf, München

Im Nürnberger Archiv des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) liegen eine Menge Dokumente: Etwa 15 000 Pässe und Ausweise von Asylbewerbern hat die Behörde seit 2005 gesammelt. Sie wurden von der Prüfstelle, dem Referat 712, als gefälscht oder verfälscht beanstandet. Manche sind manipuliert worden, es fehlen Seiten oder sie wurden durch Farbkopien ersetzt, manche Dokumente sind schlichtweg Fälschungen. Um diese zu erkennen, muss bisweilen ganz genau hingeschaut werden: Einige Kopien sind so hochwertig, dass sie lediglich am länger gezogenen Strich des Buchstabens "Q" erkennbar sind.

Das Bundesamt, das über die Anträge von Asylbewerbern entscheidet, soll eigentlich auch feststellen, wer da in Deutschland Schutz sucht. Über die Fälschungen hat das Referat 712 einseitige Gutachten angelegt und die Pässe einbehalten. Doch jahrelang landeten die Hinweise lediglich in den Akten der Antragsteller. Allein die Ausländerbehörden erfuhren, dass die Asylbewerber möglicherweise unter falschem Namen nach Deutschland gekommen waren. Die tatsächliche Identität der Menschen mit den falschen Pässen wurde nie durch Sicherheitsbehörden überprüft.

Ende Mai hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bereits "systematische Mängel" bei der Dokumentation im Bundesamt festgestellt, nachdem bekannt worden war, dass der mutmaßlich rechtsextreme Bundeswehrsoldat Franco A., ein Deutscher, sich als syrischer Flüchtling beim Bamf registrieren konnte. Er bekam einen Asylstatus zugesprochen. Zwar gebe es keine vergleichbaren Fälle, hieß es aus dem Bundesinnenministerium, aber im Nachgang sollen 85 000 positive Asylbescheide aus den Jahren 2015 und 2016 überprüft werden. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung und des WDR kommen nun die etwa 15 000 Fälschungsfälle hinzu. Denn bis heute weiß niemand sicher, wer sich tatsächlich hinter den Aliaspersonalien verbirgt.

Nur etwa 30 bis 40 Prozent aller Asylsuchenden legen dem Bundesamt Papiere vor. Zwar versucht das Bundesamt in der Befragung deren Identität nachzuvollziehen, etwa über Sprachanalysen oder das Abfragen von Details des angegebenen Heimatorts, doch eine abschließende Bewertung gibt es bei fehlenden oder gefälschten Dokumenten nicht. Strafverfolgungsbehörden haben weitere Eingriffsrechte und Überprüfungsmöglichkeiten etwa durch internationale Datenbanken, auf die das Bamf keinen Zugriff hat. Doch erst seit Ende Oktober 2016 meldet das Amt den Polizeibehörden, wenn es gefälschte Dokumente festgestellt hat. Seitdem wird bei gefälschten Pässen Anzeige gestellt, auf Verdacht von Urkundenfälschung oder das Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen.

So haben sich bis heute im Bundesamt die Altfälle angehäuft: Seitdem die Behörde 2005 die sogenannte standardisierte Dokumentenprüfung eingeführt hat, findet sie zwischen vier und 28 Prozent Fälschungen unter den eingereichten Pässen. Die Zahl der Beanstandungen ist, wenn auch nicht proportional, mit der Zahl von Asylanträgen gestiegen: Im Jahr 2005 waren es 55 von 199, 2015 bereits 800 von 18 722 Prüfungen und im Jahr 2016 bis Oktober 8625 von 81 301. Das geht aus dem Bericht einer Arbeitsgruppe hervor, die sich mit der Aufarbeitung der Altfällen beschäftigen soll. Da oft beim Bamf nicht mehr bekannt ist, wo die Menschen mittlerweile leben, werden die Altfälle auf die Bundesländer verteilt. Die Landeskriminalämter und Staatsanwaltschaften müssen also die Flüchtlinge aufspüren. Doch möglicherweise leben diese heute unter anderen Personalien oder haben Deutschland bereits wieder verlassen. Eine weitere Herausforderung für die Behörden: Urkundenfälschung und das Verschaffen von falschen Dokumenten verjährt nach fünf Jahren - ein Großteil der möglichen Delikte kann somit nicht mehr verfolgt werden.

Ein gefälschtes Dokument allein sei kein Ausschlusskriterium für den Schutzstatus, sagt eine Sprecherin des Bamf. Sind Dokumente gefälscht, so würden Antragsteller persönlich dazu befragt. Das Bundesamt unterliege nicht dem Legalitätsprinzip und "war und ist entsprechend nicht verpflichtet", die Fälschungen den Polizeibehörden zu melden.

© SZ vom 30.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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