Asyl:Untätig seit neun Monaten

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Bei Minderjährigen dauert das Asylverfahren mitunter deutlich länger als bei Erwachsenen. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Im April hatte der Europäische Gerichtshof über den Familiennachzug von Minderjährigen geurteilt, die im Asylverfahren volljährig werden. Die Bundesregierung jedoch reagiert darauf nicht.

Von Bernd Kastner, München

Die Bundesregierung weiß noch immer nicht, wie sie mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) umgehen soll, das die Rechte junger Flüchtlinge stärkt. Im April 2018 hatten die Luxemburger Richter entschieden, dass Minderjährige, die ohne Eltern flohen und Schutz erhielten, auch dann ein Recht auf Familiennachzug haben, wenn sie während des Asylverfahrens volljährig geworden sind. In Deutschland erlischt dieses Recht mit dem 18. Geburtstag. Weil sich das EuGH-Urteil auf einen Fall aus den Niederlanden bezieht, überlegt Berlin seit einem Dreivierteljahr, ob man es umsetzen soll: "Die Abstimmungen innerhalb der Bundesregierung sind noch nicht abgeschlossen", teilte das Innenministerium nun der Linksfraktion mit. Man bemühe sich "jedoch um einen raschen Abschluss der Prüfung".

Die linke Abgeordnete Ulla Jelpke empört dies: "Angesichts des oft dramatischen Schicksals der jungen Flüchtlinge ist es unerträglich, dass die Bundesregierung das klare EuGH-Urteil nach neun Monaten noch nicht umgesetzt hat. Abschreckung geht vor Kindeswohl, das ist offenbar die Prioritätensetzung dieser Bundesregierung." Im Jahr 2018 waren es bis November laut Innenministerium 650 anerkannte Flüchtlinge, die während ihres Verfahrens 18 Jahre alt wurden; in den zwei Jahren davor waren es insgesamt 8300, die durch ihre Volljährigkeit die Möglichkeit verloren, ihre Familien nach Deutschland nachzuholen. Wie viele von ihnen dies tatsächlich tun wollten, ist nicht bekannt. Alle Detailfragen der Linken zu den Folgen des EuGH-Urteils blockt die Bundesregierung mit Verweis auf die laufende Abstimmung ab.

Innenministerium und Auswärtiges Amt hatten vergangenes Jahr vereinbart, das EuGH-Urteil nicht umzusetzen. Dann aber meldeten andere Ressorts "Abstimmungsbedarf" an. Vorerst gilt die alte Regelung weiter. Konkret bedeutet dies, dass die Wiedervereinigung einer Flüchtlingsfamilie davon abhängen kann, wie zügig das Asylverfahren des Jugendlichen zu einem Ende kommt. Im Durchschnitt dauerte es im vergangenen Jahr knapp zehn Monate und damit deutlich länger als bei Erwachsenen. "Die Bundesregierung steht sowohl rechtlich als auch humanitär in der Pflicht, im Sinne des Kindeswohls und des Menschenrechts auf Familie zu handeln", sagt Jelpke.

© SZ vom 25.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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