Asyl:Mauern hoch!

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In Deutschland diskutiert man über „Obergrenze“ und „Richtwert“, über die Kriminalität von Asylbewerbern. Das Schicksal der Menschen gerät aus dem Blick. Hier zwei Flüchtlinge, die in Belgrad gestrandet sind. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Weltweit gibt es mehr Flüchtlinge denn je. In Deutschland aber kommen immer weniger von ihnen an - und vom humanitären Kurs des Jahres 2015 bleibt immer weniger übrig. Stattdessen spricht man von der Obergrenze.

Von Bernd Kastner

Fast fühlt es sich an wie Ruhe. Deutschland und seine Flüchtlinge, das ist zwar eine schwierige Beziehung, zwei Jahre nach dem Sommer des Willkommens, aber auch eine, in die immer mehr Routine einkehrt. Vieles läuft inzwischen nach Plan, neu ankommende Flüchtlinge werden weitgehend geordnet empfangen, untergebracht und versorgt, ihre Asylanträge meist zügig bearbeitet. Hat es Deutschland also schon geschafft? Die Routine des Asylalltags ist trügerisch. Einerseits wühlen von Flüchtlingen begangene Gewalttaten die Öffentlichkeit auf, und unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung wird an einer ganz hohen Mauer gebaut.

In Freiburg steht ein junger Afghane vor Gericht, er hat zugegeben, eine Studentin überfallen, vergewaltigt und getötet zu haben. Sein Alter war anfangs ein Rätsel, aber noch viel größer ist jenes Rätsel, wie es zu dieser Tat kam. War der Mann doch als angeblich Minderjähriger nicht durchs Raster der Fürsorge gefallen, im Gegenteil, er war in den Genuss bester Willkommenskultur gekommen, lebte bei einer gut situierten Pflegefamilie (siehe Seite 66). Deutschland blickt entsetzt nach Freiburg - und nach Berlin. Nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 wächst die Erkenntnis, spät, aber gewaltig, dass die Behörden im Umgang mit dem islamistischen Gefährder Anis Amri viele schwere Fehler gemacht haben (folgende Seiten).

Während Behörden und Justiz diese Taten aufzuklären versuchen, hat sich die politische Diskussion in eine bisweilen absurde Komödie verwandelt. Auf der Bühne diskutierten Angela Merkel und Horst Seehofer, ob Deutschland nach 200 000 Flüchtlingen im Jahr die Grenzen schließen muss, soll, darf. Zu Beginn der Jamaika-Verhandlungen einigten sich die beiden Unionsschwestern fürs Erste und machten aus der "Obergrenze" einen "Richtwert".

Im Aufmerksamkeitsschatten aus Obergrenze und Terrorangst verschwanden die Konturen jener Menschen, die in Deutschland und Europa Schutz suchen vor Krieg, Repression und Elend. Deutschland verschärft seit zwei Jahren seine Regeln, mal hier einen Paragrafen, mal dort eine Verordnung. Abschiebungen nach Afghanistan, kein Familiennachzug für Zehntausende Syrer - inzwischen ist das deutsche Asylroutine. Das einzelne Schicksal geht unter in Statistiken, die besagen, dass Asylverfahren meist nur noch ein paar Wochen dauern und nicht einmal mehr 100 000 Altakten im Asyl-Bundesamt liegen.

Das sind, nimmt man die Warnungen von Pro Asyl ernst, die Vorboten einer umfassenden europäischen Abwehrstrategie: Unter dem Radar der Öffentlichkeit werde in Brüssel ein System erarbeitet, um erst gar nicht mehr in die Verlegenheit zu kommen, Flüchtlinge gerecht auf einzelne EU-Länder verteilen zu müssen. Asylsuchenden solle der Zugang nach Europa gleich ganz verwehrt werden, aus Folter- Diktaturen sollen Abwehr-Partner werden. Die angebliche Flüchtlingskrise sei in Wahrheit "eine Krise des Flüchtlingsschutzes", beklagt Pro Asyl. Ziel sei die Perfektionierung dessen, was mit der Schließung der Balkanroute und dem EU-Türkei-Deal anfing und vor der libyschen Küste weiterging. In Deutschland würde es dann noch ruhiger werden in den Ankunftszentren als 2017. Das war übrigens das Jahr, in dem mehr Menschen als je zuvor weltweit auf der Flucht waren, mehr als 65 Millionen. Nach Deutschland werden es keine 200 000 geschafft haben.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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