Asyl:Flüchtlingsaufnahme: Es ist nicht rechtswidrig, sich anzustrengen

Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge

In einer Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge des Deutschen Roten Kreuzes in Dresden

(Foto: dpa)

Man kann Merkels Flüchtlingspolitik für einen schweren Fehler halten. Aber ein Rechtsbruch, gar ein Verfassungsbruch ist sie nicht.

Kommentar von Heribert Prantl

Das Bundesverfassungsgericht wird in diesem Jahr 65 Jahre alt. Zu Beginn des Jubiläumsjahres passieren Dinge, wie sie kaum je zuvor in diesen 65 Jahren passiert sind: Verfassungsjuristen, und zwar nicht irgendwelche, sondern zwei ehemalige Verfassungsrichter, haben sich in apokalyptische Ankläger verwandelt.

Udo Di Fabio und Hans-Jürgen Papier warfen ihre schon zuvor wenig geübte Zurückhaltung von sich und verdammten die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung als Rechts- und Verfassungsbruch. Seitdem berufen sich Leute, die die Kanzlerin als "Diktatorin" beschimpfen, auf das von Di Fabio und Papier ausgelegte Verfassungsrecht.

Di Fabio war 1999 auf Vorschlag der CDU an das höchste Gericht gewählt worden und gehörte ihm bis 2011 an; er hat seine scharfe Attacke auf die Kanzlerin in ein Auftragsgutachten für die CSU geschrieben; Papier ist Mitglied der CSU und war von 2002 bis 2010 Präsident des Bundesverfassungsgerichts; er hat im Handelsblatt schneidend mit der Flüchtlingspolitik abgerechnet.

Dahinter stand und steht eine nicht unberechtigte verfassungspolitische Sorge, die aber sorglos in die Raserei der öffentlichen Debatte hineingeworfen wurde. Andreas Voßkuhle, der amtierende Verfassungsgerichtspräsident, hat behutsam zu moderieren versucht und erklärt, das Grundrecht auf Asyl könne nicht einfach mit einer "Obergrenze" beschränkt werden. Ähnlich sagte es der Präsident des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg. Aber ruhig erklärende Stimmen finden wenig Gehör in diesen Tagen.

Babylonische Denkverwirrung

In dieser Situation wünscht man sich, es gäbe nicht nur ein aufpeitschendes Gutachten eines Ex-Verfassungsrichters, sondern ein tiefschürfendes Gutachten des Verfassungsgerichts. Die Möglichkeit, ein solches einzuholen, bestand in den Anfangsjahren der Bundesrepublik; 1954 wurde das abgeschafft: Bis dahin konnten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung in einem gemeinsamen Antrag das Plenum des Gerichts um Erstattung eines Verfassungsgutachtens bitten; dasselbe Recht hatte der Bundespräsident. Gäbe es die Möglichkeit noch: Es könnte davon heilsame Wirkung ausgehen.

Verunsicherung hat nämlich auch konservative Verfassungsrechtler erfasst. Dort ist babylonische Denkverwirrung ausgebrochen samt grammatischer Eskalation: Es wird neuerdings neben Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt die strikte grenzpolizeiliche Sicherung der Grenzen zum vierten Staatsmerkmal erhoben - und damit alles infrage gestellt, was Europa in den letzten Jahrzehnten geschaffen und ausgemacht hat. Das ist ein Rückfall in die Eisenzeit des Staatsrechts.

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